Udos Welt

Folge 29: Ich bin Kreismeister

Auf zur Kreismeisterschaft! Am Start alles, was Rang und Namen hat: hagere Flintenweiber und Amazonen mit rot gefärbtem Haar, die unvermeidliche Petra, dazu eine Schülerin, von der man Wunderdinge munkelt. Sogar Moni hat sich aufgerafft, um ihr mürbes Fleisch 25 Mal um den Sportplatz zu hetzen. 25 Runden! Mir wird schon bei der Vorstellung schwindlig. Ein Erwachsenenkarussell, entschleunigt. Wie kann man sich so etwas freiwillig antun?

Aber Julia tut es nicht freiwillig. Sie ist hier, um eine Scharte auszuwetzen. Um sich von der Blamage ihres Lebens reinzuwaschen: der Aufgabe beim Volkscross.

 

Und das wird ihr gelingen. Auch wenn sie vorm Start nicht danach aussieht. Sie sieht eher aus wie eine, die sich vor Tagen hemmungslos besoffen hat und seither nur das Wort "Kölsch" zu hören braucht, um Richtung Klo zu rennen. Egal. Julia muss nicht wissen, was ihr blüht. Hauptsache, ich weiß es, der Laufphilosoph.

"Das geht schief, Udo", murmelt sie ein ums andere Mal. "Was will ich hier überhaupt?"

"Nimm es als Trainingslauf. Die Petra ist supergut drauf, habe ich gehört. Und gegen diese Schülerin hast du erst recht keine Chance."

Was für einen Blick sie mir daraufhin zuwirft! In den meisten Ländern braucht man für so was einen Waffenschein. Und kaum fällt der Startschuss, setzt sich meine Göttin mit dem Mute der Verzweiflung an die Spitze des Felds. Na, da schauen sie aber, die Petras dieser Welt! Oder wenigstens die aus unserem Landkreis. Moni schaut nicht, die steckt erstens in den hinteren Reihen fest und hat zweitens Probleme mit ihren Plastikwimpern. Die hochgelobte Schülerin mit dem Konfirmandinnengesicht dagegen heftet sich sofort an Julias Fersen.

 

Jetzt kommen sie zum ersten Mal an mir vorbei. In Julias Augen eine Mischung aus Todesverachtung und Kleinmädchentrotz. Sie ist viel zu schnell angegangen, auf Position drei schnappt Petra nach Luft und kontrolliert immer wieder ihre Uhr.

 

Jetzt beginnt es auch noch zu regnen. Es riecht nach Bockwurst. Neben mir unterhalten sich zwei Rentner über Facebook. Unsere Damen trampeln vorbei, Julia und die Schülerin an der Spitze. Mehr als einen kurzen Blick gönne ich meiner Göttin nicht. Nie wieder werde ich den Fehler begehen und sie durch Anfeuern und Zujubeln unter Druck setzen, wie damals in Schümmerich und Wilsdorf. Lieber professionell ignorieren.

"Facebook ist scheiße", sage ich zu den Rentnern, als Julia zum dritten Mal angerauscht kommt, und spanne den Regenschirm auf. Im Vereinsheim bullert der Ofen. Warum stehe ich eigentlich hier draußen? Nun, vielleicht um zu sehen, wie Petra von der Bahn humpelt, eine Hand am Oberschenkel. Zu schnell angegangen, du Hobbywalkerin? Muskulatur im Vorruhestand? Mach du erst mal Mentaltraining, bevor du es mit meiner Julia aufnimmst!

So, jetzt reicht es. Man holt sich ja den Tod bei diesen Temperaturen. Lieber ein paar Würstchen besorgen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie mir Julia einen fassungslosen Blick hinterher schickt. Ich grüße sie kurz mit der Hand, nach dem Motto: Renn ruhig weiter, gewinnen kannst du eh nicht.

Als ich mit meiner doppelten Bockwurst zurück an die Bahn trete, sind zwei Drittel des Rennens vorüber. An der Spitze dreht Julia einsam und allein ihre Runden. Eben überrundet sie Moni, die vor Schreck einen Hustenanfall bekommt. Julias Wangen tendieren zum Violetten, dafür ist das Gesicht der jungen Wunderläuferin so grün wie das Gras, in dem sie liegt. Schau an, jetzt übergibt sie sich neben die Zielgeraden.

Ja, die Psyche …

 

Weil Julia den letzten Kilometer nur noch stolpernd bewältigt, wird sie von mir ins Ziel gebrüllt. Mit der Kraft zweier Bockwürste schreie ich sie zum Sieg und zur Bestzeit. Versprochen ist versprochen. Am Ende liegt sie hinter der Ziellinie, die Arme ausgebreitet, Regentropfen im Gesicht. Ihre Brust: eine einzige Pumpstation.

"Wie hast du das angestellt, Udo?", röchelt es vom Boden herauf.

"Training", entgegne ich und pule mir einen Fetzen Wursthaut aus den Zähnen. "Viel Training und die Pausen zur rechten Zeit. Das ist alles."

"Wir sind Kreismeister."

"Du und ich, Julia", nicke ich. Okay, vielleicht hat sie auch "Ich bin Kreismeister" gemurmelt, da flockt nämlich so viel Schaum in den Mundwinkeln, dass sie kaum zu verstehen war.

Und als sie eine Stunde später das Sanitätszelt verlassen darf, kann sie sich nicht mehr daran erinnern, dass sie den Kreismeistertitel als unser erstes gemeinsames Kind bezeichnet hat.

 

Aber ich weiß es.

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