Udos Welt

Folge 27: Bilanz

Nach jedem Großereignis wird Bilanz gezogen. In Wilsdorf ebenso wie andernorts. Sagen wir: in Frankfurt. Arno hat mir erzählt, dass sie dort jetzt heimlich die Marathonstrecke nachmessen. Vielleicht ist sie ja fünf Sekunden zu lang!

Wenn sich die Banker von der HRE um schlappe 55 Milliarden Euro verrechnet haben, wird man es in der Stadt der Banker mit 42,195 Kilometern auch nicht so genau nehmen. Und von dem, was der Bund an Schulden spart, könnte er dem guten Mr. Kipsang doch noch eine Weltrekordprämie hinblättern. Nein?

"So ein roter Teppich auf den letzten Metern bremst wie Holzwolle", sagt Arno.

 

"Und die Messegebäude sind einfach riesig", ergänze ich. "Kann mich noch gut an meine erste Immobilienmesse in Frankfurt erinnern. Viel zu groß, diese Hallen!"

Aber wen interessiert schon Frankfurt! Bei uns in Wilsdorf ist der Volkscross seit Menschengedenken ungefähr acht Kilometer lang. Pi mal Daumen, aber das exakt. Und deshalb kann unsere Bilanz nur rundum positiv ausfallen.

 

"Wir haben was gegen die Verweichlichung der Jugend getan", resümiert Arno.

"Und für ihre Sauberkeit." Ich zeige auf den restlichen Stapel Duschgel.

"Wann ist der nächste Lauf?" Ludger kann es kaum erwarten.

"Nette Mädels auf der Strecke", nickt der alte Schmitz.

Auch das Teilnehmerecho auf unsere Veranstaltung ist zufrieden bis euphorisch. Wer Ahnung hat vom Laufen, beglückwünscht uns. Wer rummeckert, hat keine Ahnung. Okay, zum erhofften Massenansturm auf den Wilsdorfer Forst ist es dann doch nicht gekommen, aber zwischenzeitlich ging es so eng zu in den Dorfstraßen, dass sich zwei schwere Geländewagen gegenseitig in die Vorgärten drängten. Der eine Vorgarten gehört dem Bürgermeister, er traf also den Richtigen. Bloß Ludger hat jetzt alle Hände voll zu tun, wegen der Genehmigung für nächstes Jahr.

Alles bestens also. Aber dann mache ich Kassensturz und stelle fest, dass wir 500 Euro Miese haben. Die beiden zusätzlichen Dixie-Klos waren teurer als erwartet. Außerdem muss ich an Julia denken, die zu Hause liegt und mit ihrer Volkscross-Schmach kämpft. Zu guter Letzt jammert mir auch noch Moni was von ihrem Herpes vor, der seit der Siegerehrung ihre Lippe ziert. Warum hat sie auch alle abknutschen müssen, die Knalltüte? Selber schuld.

Und doch fuchst mich die Sache. Gerade jetzt, wo jeder unter einen Rettungsschirm flüchtet, hätte ich gerne einen makellosen Haushalt präsentiert. Schaut her, Leute, bei uns in Wilsdorf, läuft es gegen den Trend. 500 Euro Miese, was ist das schon? Trotzdem.

Aber erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Noch am Laufsonntag, ich will eben ein Kofferraum voll rot-weißer Verkehrshütchen wegbringen, fällt mir einer vorm leerstehenden Forsthaus auf. Im Blick dieses Hausbesitzerleuchten. War der nicht vorhin bei der Siegerehrung? Gleich mal nachfragen. Das Maklerschild "Exklusivverkauf durch Pönzgen" hängt erst zwei Tage, und ich habe noch nicht einmal ein Exposé erstellt. Aber was sind schon Informationen auf Papier gegen das Wort eines Laufphilosophen!

 

"Sonst bin ich ja kein Freund von raschen Entscheidungen", erklärt mir der Typ eine Woche später bei der Vertragsunterschrift. "Aber unter Läufern …"

 

"Gleich hinterm Haus kannst du losjoggen", sage ich. "Ein Paradies für jeden Ausdauersportler, der Wilsdorfer Forst. Glückwunsch zu diesem Schnäppchen!"

"Danke", strahlt er. "Vielen Dank, Udo!"

Das Lächeln eines Doppelsiegers. Erster in der M 30, dazu Platz eins im Spurt um das alte Forsthaus. Bei dem zwar einiges zu renovieren ist, aber man kann ja nicht den ganzen Tag trainieren.

"Vertrauen ist alles", sage ich und überschlage meine Courtage. Nicht mal gehandelt hat der Junge!

Meine Volkscross-Bilanz bedarf einer dringenden Korrektur.

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