Udos Welt

Folge 23: Blut trinken

Samstagmorgen. Der Volkscross naht mit Siebenmeilenschritten! Da klingelt das Telefon. Julia ist dran: ob ich sie zum Herbstlauf nach Krottwinkel begleiten könne. Jetzt sofort.

Ausgerechnet Krottwinkel! Vor Jahren haben sie mich dort mal aus dem Schützenzelt geschmissen, weil ich angeblich am Randalieren war. Seitdem vermittle ich keine Objekte mehr aus dem Kaff.

 

"Es ist dringend, Udo. Vor Wilsdorf brauche ich noch einen Testwettkampf."

Keine Chance, Schätzchen, tut mir leid. Ich muss den Volkscross vorbereiten. Die T-Shirts abholen, mit dem Pfarrer sprechen, Sicherheitsnadeln zählen. Und dann auch noch Krottwinkel! Igitt.

"Klar", sage ich. "Kein Problem, Julia. Wann soll ich dich abholen?"

"Eigentlich wollte ich mit Moni fahren", erklärt sie mir kurz darauf im Auto. "Aber die hat mal wieder Besuch von einem alten Freund bekommen."

"Moni!", stoße ich hervor und lege all meine Verachtung in die vier Buchstaben. Dabei frage ich mich nur eins: wo eigentlich die alten Freunde von Julia stecken, die sie nach Krottwinkel begleiten könnten.

"Vielleicht fährst du doch ein bisschen schneller", meint sie mit Blick zur Uhr.

Ich drücke das Gaspedal durch. Alles, was du willst, Mädchen. Obwohl ich mir geschworen habe, nie wieder in dieses gottverlassene Nest zurückzukehren.

 

"So schnell auch wieder nicht", röchelt sie drei Anstiege und vier Täler weiter. Du liebe Güte, ist meine Traumfrau heute nervös. Einen Kilometer vorm Ort muss sie unbedingt noch für kleine Mädchen. Kommen bestimmt nur drei Tröpfchen. Dann nuckelt sie wieder an ihrer Iso-Power-Energy-Flasche, wirft ein paar Rosinen ein, leckt an Traubenzucker. Und natürlich die Fingernägel. Knabber, knabber.

"Irgendwie bin ich heute nicht gut drauf", haucht sie. "Kennst du die Herbstlauf-Strecke?"

"Klar kenne ich die."

"Und? Schwierig?"

"Hügelig. Sehr hügelig. Der Untergrund tückisch. Mach dir keine Gedanken wegen der Zeit, hier kannst nichts reißen. Und dann bei dem Wetter! Anfang Oktober, aber Temperaturen wie im Hochsommer."

"Das stimmt", seufzt sie dankbar. "Äh … kannst du noch mal kurz halten?"

 

Ganz schön viel Bläschen für so wenig Frau, denke ich. Aber Julias Wille ist mir Befehl.

In Krottwinkel angekommen, erweist sich jegliche Nervosität als hinfällig. Nicht mal hundert Läufer drücken sich an der Startlinie herum, darunter bloß 17 oder 18 krummbeinige Frauen. Geschieht euch recht, ihr Hinterwäldler! Großzügig verteile ich Volkscross-Flyer: "Nutzt die Voranmeldung, Leute! Mehr als 500 nehmen wir nicht." Ja, da staunen sie, die Krottwinkeler. Bloß der Abteilungsleiter hat nichts Besseres zu tun, als mich aus dem Startbereich zu scheuchen. Gleich wird er behaupten, ich sei ein Randalierer! Schon immer gewesen!

Mit dem Startschuss setzt sich Julia sofort an die Spitze des Frauenfelds. Keinen zehn Männern lässt sie den Vortritt. Ich hole mein Klapprad aus dem Kofferraum und fahre vor zu Kilometer fünf. Kunststück, die Strecke als hügelig zu bezeichnen: In ganz Krottwinkel gibt es keine ebene Straße von mehr als dreißig Metern!

 

Weswegen ich auch fast zu spät zum Treffpunkt komme. "Du hattest recht", keucht Julia, Bläschen im Mundwinkel, "die Strecke ist wirklich scheißschwer!"

"Und der Boden!", rufe ich ihr nach. "Die Hitze! Winklig ist sie auch, also spar dir die Kräfte!"

Dann nehme ich eine Abkürzung bergab, hole den vor ihr Laufenden ein und halte ihm radelnd einen Zehner unter die Nase.

"Für dich. Wenn du das Mädchen hinter dir überholen lässt."

Erst glotzt er mich an, dann den Schein, zuletzt über die Schulter. "Zwanzig", japst er.

 

Gut, dass ich genügend Scheine eingesteckt habe. Der Typ vor ihm macht es für zehn Euro, sieht aber auch so aus, als ob er es nötig habe. Und dann Julias Blick, als sie merkt, dass sie sich Platz um Platz verbessert! Diese Kampfeslust, die reinste Männerverschlinggier!

Im Ziel wird sie Vierte gesamt. Vierte - die Geschichte des Krottwinkeler Herbstlaufs muss umgeschrieben werden! Mein Freund, der Abteilungsleiter, kratzt sich am Kopf, kann aber nicht verhindern, dass die gefeierte Siegerin mit rot glühendem Gesicht und strahlendem Lächeln auf mich zu eilt.

"Vergiss die Zeit!", rufe ich ihr zu. "Die ist zweitrangig. Um die Platzierung geht es!"

 

Julia packt mich bei den Armen. "Von wegen zweitrangig", brüllt sie mich an. "15 Sekunden besser als Petra letztes Jahr! 15 Sekunden! Bei der Hitze!"

"Genial!", stöhne ich. Wie sie mich anfunkelt! Wie sie sich freut! Gleich wird sie ihre Zähne in meine Brust schlagen und mein Blut trinken.

Nur zu, Julia!

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