Udos Welt

Folge 18: Brainrunning

Sport in seiner reinsten Form … Was ist das eigentlich?

Jedenfalls nicht das, was meine spezielle Freundin Moni darunter versteht. Von meinen Laufheften lieh sie sich gleich einen Packen aus, allerdings nur die Hochglanz-Fit-Fun-Freak-Magazine. Die mit den im Windkanal gestylten Models auf dem Cover: Body-cw-Wert unter dem eines Einliterautos. Heidi Klum, unsere Magerquarkschnitte aus Bergisch Gladbach, tat ja neuerdings auch so, als könnte sie mehr als eine Laufsteglänge am Stück zurücklegen. Nur zu, Moni, das ist deine Gesellschaft!

 

Sport in seiner reinsten Form? Als sie drüben in Daegu - erinnert sich noch jemand? - Marathon liefen, zerrte mich Arno vor den Fernseher. Ganz Wilsdorf schlief, aber wir guckten uns die kleinen, schnellen Afrikanerinnen an. Kurz nach dem Start nickte ich ein und hätte unter Garantie noch 42 Kilometer länger gedöst, wenn mich Arnos Gebrüll nicht geweckt hätte.

"Da!", schrie er und sprang wie ein Flummi auf seinem Sessel herum. "Schau dir das an! Das ist echter Sport, Udo! So muss es sein!"

Ich rieb mir die Augen. Komischer Sport, bei dem man sich vor einem Verpflegungsstand rammt, um der Länge nach auf die Straße zu knallen. Die Szene wurde noch sieben oder acht Mal gezeigt, jedes Mal stand Arno kurz vor einem Herzinfarkt, und am Ende gewann die eine der Bruchpilotinnen aus Kenia auch noch.

Mein Laufkumpel kriegte sich gar nicht mehr ein, keuchte was von Hinfallen und wieder Aufstehen, immer wieder Aufstehen, wobei er einem gewissen Olli Kahn plötzlich beängstigend ähnlich sah. Mit echtem Sport hatte das natürlich nichts zu tun. Das Gepurzel am Verpflegungsstand gehörte meiner Meinung nach in die Rubrik "Vermischtes" oder auf Youtube.

 

Außerdem: Wo bleibt der Wettbewerb, wenn Medaillensätze im Paket nach Afrika gehen? Kenia, Kenia, Kenia - das klang eher nach Wiedergutmachung für Europas koloniale Vergangenheit. Deshalb also hatten Miki und Mocki zurückgezogen, wahrscheinlich in Absprache mit Noch-Außenminister Westerwelle. Und beste Europäerin durfte nur eine Schwedin werden. Die haben nie was kolonisiert, höchstens Norwegen. Wie auch immer, es wird höchste Zeit für einen Olympiasieger aus dem Kongo. Am besten bei Spielen in Belgien.

 

Wo war ich? Ach ja, Leichathletik und Politik. Unter Sport in seiner reinsten Form verstehe ich eigentlich etwas anderes. Vom Standpunkt des Philosophen aus muss ich sagen: Streng genommen ist nur eine Sache auf der Welt vollkommen rein und unverfälscht. Das Nichts. Der Nichtsport: drogenfrei und schwerelos. Ein Fehlstart im 100-Meter-Finale - den kann dir niemand aberkennen, niemand schlechtreden. Keine Diskussionen, keine Verdächtigungen, sondern eine leere Bahn 5 als Sinnbild perfekter Reinheit.

Ja, philosophisch gesehen, ist der Nichtsport der wahre Sport. Und seine Verkörperung bin natürlich ich, Udo Pönzgen, das wurde mir beim Glotzen der WM erst so richtig bewusst. Ich brauche keine Funktionäre und Disqualifikationen, kein Schildkrötenblut und keine Qualifikationsnormen, keine Bestechungsgelder und keinen Hauptsponsor. Ich throne einfach in meinem Sessel, 105 Kilo schwer, und übe mich in Sportabstinenz.

Nur in meinem Philosophenschädel laufe ich, leichtfüßiger als ganz Kenia: Gedankensport. Reiner geht es nicht. Es lebe das Brainrunning! Warum komme ich nicht auf die Titelseite von "Fit for Fun"? Mit dem durchtrainiertesten Großhirn weit und breit?

 

Aber wer wird dann für den wahren Sport stehen, wenn ein Udo Pönzgen dem täglichen Training zum Opfer fällt?

 

Das Telefon. Arno ist dran. Oh weh, er will es demnächst mit mir versuchen. Walkingstöcke in den Schrank, auf zur ersten Laufeinheit. Das Idealbild in meinem Kopf verschwindet. Plötzlich wird alles schwer, knirscht in den Gelenken, riecht nach Achselschweiß. Ich habe Angst. Nichts wird so bleiben, wie es ist.

Blöde Frage. Julia natürlich. Wenn es außer mir jemanden gibt, der den Sport in seiner reinen Form verkörpert, dann sie. Deshalb passen wir zwei ja auch so gut zusammen: Sportsgeist und Sportkörper, Yin und Yang, Udo und Julia.

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