Udos Welt

Folge 17: Sport in seiner reinsten Form

In Wilsdorf gibt es keine öffentliche Bücherei. Aber selbst wenn es eine gegeben hätte, wäre ich für die Sorte von Büchern, die ich brauchte, nicht hingegangen. Ich fuhr ziemlich weit, bis nach Körpen, wo sie einen ultramodernen Riesenklotz am Marktplatz stehen haben, vollgestopft mit Spezialliteratur für Spezialfälle.

"Haben Sie Ratgeber?", fragte ich.

"Aber sicher", sagte die Frau an der Ausleihe. "Zu welchem Thema?"

"Gesundheit und so."

"Geht es um eine bestimmte Krankheit?"

"Nö", sagte ich und begann zu schwitzen. "Eher ums Aussehen. Ein Freund von mir hat sich in den Kopf gesetzt abzunehmen. Völlig verkrampft, der Kerl."

"Verstehe."

Vom Typ eher war die Dame höchstens vollschlank, also nicht meine Gewichtsklasse. Trotzdem nickte sie solidarisch. "Abteilung G."

Aus Abteilung G kam ich mit einem Riesenstapel von Büchern zurück, dessen Transport allein mich 1000 Kalorien kostete. Beim Ausleihen fiel mir eine Kiste mit alten Zeitschriften ins Auge. Ich nahm eine heraus. Es war eine "Runner's World" von 2004.

"Diese alten Dinger schmeißen wir raus", erklärte die nette Dame. "10 Cent das Stück."

Ich kramte weiter und entdeckte "Fit for Fun", "Laufzeit", "Spiridon" und sogar ein ausgebleichtes Heft "LAUFmit" aus den frühen Neunzigern. In was die Leute sich damals aus dem Haus gewagt haben! Netzhemden! Trägershirts, aus denen die Brustwarzen lugten! Und Höschen, knapper als Arno Berschinski erlaubte.

"Kriege ich Rabatt, wenn ich sie alle nehme?", fragte ich.

Zuhause brauchte ich eine halbe Nacht, um die "Gemeindebücherei Körpen"-Aufkleber mit den Barcodes unter Wasserdampf abzulösen. Bei einigen Heften klappte es nicht, die wanderten in die Papiertonne. Ein paar Tage später kamen Julia und Moni zwecks Volkscross-Vorbereitung zu Besuch. "Hey, was liegt denn da auf dem Fernseher?", rief Julia begeistert. Moni setzte sich versehentlich auf eine alte Spiridon von 1998, auch in der Küche und auf dem Balkon entdeckten sie Laufhefte.

"So ein Mist", sagte ich. "Hab wohl vergessen aufzuräumen. Sorry, Mädels."

"Sogar unterm Telefon stapeln sie sich", stellte Julia kopfschüttelnd fest. "Wusste gar nicht, dass du so ein Fanatiker bist, Udo!"

"Sogar unterm Telefon stapeln sie sich", stellte Julia kopfschüttelnd fest. "Wusste gar nicht, dass du so ein Fanatiker bist, Udo!"

Dann hast du meine Toilette noch nicht gesehen, grinste ich innerlich. Laut sagte ich: "Manchmal überkommt's mich halt, dann krame ich meine alten Hefte vor. Die Erinnerungen, ihr wisst schon."

Beide nickten synchron. Julia schmolz schier vor Mitgefühl.

Aber dann meinte Moni, die alte Hexe, sie sei gestern extra nach Körpen gefahren, weil in der dortigen Bücherei die Zeitschriftenbestände aufgelöst würden. "Und nun stellt euch vor, da hat doch so ein Irrer die kompletten Jahrgänge von Runner's World und dem Kram aufgekauft. Sämtliche Hefte!"

Ich brachte ein künstliches Lachen zustande. "Warum ist der nicht einfach zu mir gekommen? Ich hätte ihm ausgeliehen, was er braucht."

"Genau", murmelte Julia und knibbelte mit dem Fingernagel über einen Rest von "Gemeindebücherei"-Aufkleber.

"Echt, stellt euch das mal vor!" Moni redete sich in Rage. "Was will dieser Typ mit zig Jahrgängen Laufmagazinen? Steht doch eh überall das Gleiche drin. Absurd!"

"Und du, was wolltest du dann mit den Heften?" Julia hielt sich ihr Spiridon-Exemplar unter die Nase und begann zu schnuppern. Hoffentlich rochen die Seiten nicht zu arg nach der Körpener Bücherei!

"Ich?" Moni wurde rot. "Ach, mich hätten halt die Interviews in Fit for Fun interessiert. Mit Joey Kelly und so. Hast du die auch, Udo?"

"Tut mir leid", sagte ich streng. "Diesen Promischeiß habe ich schon immer ignoriert. Mit geht es um den wahren Sport, verstehst du? Den Sport in seiner reinsten Form. Joey Kelly! Warum nicht gleich Joschka Fischer?"

 

Da sagte sie nichts mehr, die aufgemotzte Klimpertussi. Julia aber lehnte sich zurück und warf mir einen verzückten Blick zu.

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