Udos Welt

Folge 16: Jedem seinen eigenen Tod

So hart die Verhandlungen mit Arno und Moni manchmal waren, es gab immer noch eine Steigerung. Diese Steigerung hieß Ludger und saß in der Gemeindeverwaltung.

 

"Hast du dafür eine Genehmigung?", lautete seine Standardfrage, wenn ich ihm mit unserem touristischen Mega-Event kam.

"Noch nicht", war meine Standardantwort. "Aber du wirst sie mir geben."

"Warum sollte ich?"

"Der Volkscross ist ein Aushängeschild für die Gemeinde. Werbung pur!"

"Im Oktober regnet es. Da kommt sowieso kein Mensch in unsere Gegend."

"Wetten, dass doch?" Ludger ist Kettenraucher und außerdem eine Art Großcousin von mir, dem ich einst eine 1A-Hütte vermittelt hatte, als er noch mit Barbara zusammen war. Carport, Sonnenkollektoren, alles dran. Inzwischen hat er Barbara das Auto abtreten müssen, und die Sonne scheint angeblich auch nicht so oft in Wilsdorf. Vielleicht gab er sich deshalb so renitent.

"Und wenn schon Schlagzeilen", sagte er, "dann bitte keine Herzinfarkte. Du brauchst jede Menge Sanis an der Strecke. Wegen der Genehmigung."

"Eh klar, Ludger."

"Polizei für die Absperrungen."

"Habe ich. Massen."

 

 

"Du musst mit dem Pfarrer sprechen. Die Kirchen haben sich in den letzten Jahren immer beschwert über diese Sonntagmorgenrandale."

"Ja, doch. Kriege ich jetzt die Genehmigung?"

Aber Ludger zierte sich. Der eigene Großcousin, man stelle sich vor! Sämtliche Anwohner müssten informiert werden. Bauern und Förster extra. Die Strecke sei abzusichern. Ein Evakuierungsplan zu erstellen. Unsere Hauptsorge, die fehlenden Parkmöglichkeiten für die vielen tausend Athleten und Zuschauer, wischte er leichtfertig beiseite, um stattdessen auf die Umsatzsteuer zu kommen.

 

"Die was?", fragte ich konsterniert. "Wir veranstalten einen Volkslauf, Ludger. Verstehst du: Lauf! Da treffen sich Leute in kurzen Hosen …"

"Ihr verkauft doch Würstchen?", unterbrach er mich und kramte eine Schachtel Zigaretten hervor. "Fritten, Reibekuchen?"

"Muss ja. Wegen der Kohlenhydrate."

"Dabei macht ihr Einnahmen. Und schon schlägt die Umsatzsteuer zu. Zack! Bei jedem Würstchen. Ich will es nur erwähnt haben, damit es hinterher nicht heißt, ihr hättet von nichts gewusst."

"Du machst mich fertig, Ludger", stöhnte ich. Mein eigen Fleisch und Blut! Vielleicht, wenn ich ihm den Brieföffner an die nikotinschwarze Kehle hielt …?

"Apropos", meinte er und stieß einen Schwall bitteren Rauchs aus. "Wie hoch ist eigentlich eure Startgebühr?"

"Sechs Euro", seufzte ich. "Kommt da auch noch Umsatzsteuer drauf?"

 

"Nein, ich frage wegen Luca. Der Sohn meiner neuen Freundin. Ich würde ihm den Start gerne schenken. Nicht unbegabt, der Junge."

Es dauerte eine halbe Sekunde, dann kapierte ich. "Der kriegt natürlich einen Freistart, dein Luca!", rief ich. "Und 'ne schöne Nummer. Schnapszahl oder so. Ehrensache, Ludger. Wenn es um die Familie geht!"

Mein Großcousin bekam einen Hustenanfall. Sein Lungengrollen erinnerte mich an den Traktor, der damals die Laufstrecke in Schümmerich versperrt hatte. Erster Gang am Berg. "Gut, Udo", krächzte er, nachdem es vorüber war. "Das wird schon klappen mit der Genehmigung. Mach dir mal keine Sorgen."

 

"Na, also", freute ich mich. "Und wie steht es mit dir? Willst du nicht auch mitmachen? Zusammen mit Luca? Such dir noch einen dritten Mann, dann habt ihr ein Team."

"Du meinst, dich?", lachte er heiser und nahm einen langen, langen Zug an seiner Zigarette. "Nee, Udo. Jeder soll auf die Art verrecken, die zu ihm passt. Sterbt ihr mal schön den langsamen Krampfaderntod, ihr Läufer. Ich habe mich für das hier entschieden."

Man konnte kaum hinsehen, so schnell fraß sich die Glut seiner Kippe zum Filter durch.

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