Udos Welt

Folge 13: Der Kunde

Eine Stunde nach meinem ersten Training saß ich in meinem Büro und wartete auf die Schmerzen. Die aber kamen nicht. Stattdessen kam ein roter Maserati mit Kölner Kennzeichen angebraust und blieb vor meiner Tür im Halteverbot stehen. Als sich der Fahrer aus dem Flitzer schälte, ging die Karosserie um geschlagene zwanzig Zentimeter nach oben. Mit einem Seufzer, der in der ganzen Straße zu vernehmen war.

Daumen auf der Handytastatur, betrat der Typ mein Büro. Im kurzgeschorenen Haar blitzte die Sonnenbrille. Er platzierte seinen dicken Hintern in einem meiner Sessel, steckte das Handy ein und sah sich um. "Was'n das?", knurrte er mit Blick auf das Plakat vom Wilsdorfer Volkscross. "Erobern die Fanatiker jetzt sogar die Provinz?" Dann musterte er mich und atmete spürbar auf. "Dachte schon, hier gibt es nur noch Sportler. Was haben wir denn im Angebot, Kollege?"

 

Wortlos reichte ich ihm meinen Immobilienkatalog.

"In Köln", meinte er blätternd, "siehst du vor lauter Joggern den Asphalt nicht mehr. Deshalb ziehe ich jetzt aufs Land. Damit ich nicht ständig diesen Käsquantenfuzzis ausweichen muss. Oder wie sehen Sie das?"

Ich räusperte mich. "Also, was das Plakat angeht … ich wurde gebeten, es aufzuhängen. Sie wissen ja, wie es ist."

"Das sind ja Schlösser!", rief er und trommelte auf den Exposés herum. "Die reinsten Landsitze! Genau das, was ich suche. Aber dass sogar unsere Hinterwäldler jetzt auf Trendsport machen, gibt mir zu denken."

"Nur ein paar Außenseiter", winkte ich ab. Plötzlich war er da, der Muskelkater. In beiden Beinen gleichzeitig!

"Meine Ex-Frau hat sich auch einem Lauftreff angeschlossen", murmelte er im Weiterlesen. "Und mich lässt sie dafür zahlen! Hey, was ist mit diesem Prachtstück hier? Pool im Keller?"

"Sauna."

"Sauna! Und davor ein Stepper, was? Nee, nee, damit kann man mir nicht imponieren. Ihnen?"

Ich schüttelte den Kopf. Unauffällig schrieb ich unter dem Tisch eine SMS an Arno: "Hilfe! Mein Büro ist zugeparkt." Dann erhob ich mich, gegen den Muskelkater ankämpfend, um meinem Kunden und mir einen Kaffee zu kochen. Der Maseratityp dankte es mir mit einem Überblick über die aktuellen Kölner Grundstückspreise, für die es nur eine Richtung gebe: ab in den Keller. Beziehungsweise in die U-Bahn-Tunnel, haha.

"Haha", sagte ich und spürte ein Ziehen in der Leiste.

"Aber wenn hier draußen auch schon die Irren die Mehrheit haben", meinte er mit Blick auf das Volkscross-Plakat, "sollte man sich einen Umzug gut überlegen."

"Läufer sterben früher", sagte ich und sah ihm fest in die Augen.

"Tatsächlich?"

"Klar. Das Herz wird ja ganz falsch belastet. Und dann die Knochenabnutzung. Der ständige Wassermangel. Das schlaucht. Lässt die Zellen vorzeitig altern."

 

"Na, das sollten Sie mal meiner Frau erzählen", rief er begeistert. "Vielleicht würde sie das von ihrem Wahn heilen."

"Könnte zu spät sein. Jogging im Übermaß greift das Hirn an. Ist durch Langzeitstudien bewiesen."

"Na, da haben wir's doch! Und für diesen Unsinn machen Sie auch noch Werbung?"

"Dienst am Kunden", zuckte ich die Achseln. "Aber jetzt verrate ich Ihnen was."

"Was?" Sein Quadratschädel näherte sich verschwörerisch.

 

"Immobilien von Läufern", flüsterte ich, "sind praktisch unverkäuflich."

"Nein!"

"Aber ja! Der Schweißgeruch hängt noch nach Jahren in der Tapete. Der Kunde riecht es nicht, aber er spürt es. Der Wiederverkaufswert dieser Buden liegt unter 30 Prozent."

"Haben Sie so was im Angebot?"

"Wo denken Sie hin! Häuser von Joggern kommen mir nicht in den Katalog."

"Weise." Während er sich weiter durch die Exposés blätterte, schrieb ich mit Edding etwas auf eine Pappe. Kurz danach sah ich den Abschleppdienst am Maserati des Kölners. Polizeiobermeister Berschinski höchstpersönlich beaufsichtigte das Manöver. Mitleid verspürte ich keins, nur Muskelkater. Mein Kunde lästerte weiter über Jogger, kratzte sich im Stiernacken oder fingerte an seinem Ohrbrilli herum. Den Schmuck mit einberechnet, brachte der Kerl im Höchstfall 95 Kilo auf die Waage. Lächerlich! Nicht einmal das bekam er ordentlich hin.

Am Ende war ihm natürlich keiner meiner angeblichen Landsitze und Wasserschlösschen gut genug. Er schüttelte mir die Hand, stapfte zur Tür und blieb wie erstarrt stehen. Dann flitzte er los, zu der Stelle, auf der eben noch sein Maserati gestanden hatte.

Ich schloss ab und hängte das Pappschild auf: "Wegen Marathontrainings geschlossen."

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