Udos Welt

Folge 10: Die Bestzeit

"Du, Arno … Ich muss mit dir reden."

"Schieß los."

"Es gibt da eine Frau."

"Eine was?"

"Eine Frau."

"Ganz schlecht, Udo. Ganz schlecht. Macht dir die Form kaputt."

"Welche Form? Ich laufe doch gar nicht."

"Da siehst du es."

"Ah."

Nach diesem Wortwechsel schwieg ich erst mal eine Weile. Die Art, wie Arno sein "ganz schlecht" aussprach, war nicht unbedingt eine Aufforderung zum Weiterreden. Am Ende tat ich es doch, denn ich brauchte einen Verbündeten im Kampf um Julia. Also beschrieb ich die Frau meiner Träume als total lauffixiert, als manisches Sportlerass, das nur in Trainingsplänen und Rundenzeiten dachte.

"Scheint ein nettes Mädel zu sein, deine Julia", knurrte Arno. "Aber was willst ausgerechnet du mit der?"

 

Und wenn er dreimal recht hatte: Mich fuchste seine Frage. "Gib mir ein bisschen Zeit, Arno", entgegnete ich. "Ich bin ja schon dabei abzunehmen. Mich in eure Welt hineinzuversetzen. Gedanklich habe ich schon drei Marathons gefinisht."

"Gedanklich."

"Ja. Der Rest kommt. Alles zu seiner Zeit. Bis dahin könntest du Julia bei der Stange halten."

"Ich?" Arno wurde nervös. "Wie meinst du das? Soll ich etwa mit dem Mädel …?"

"Nein, aber du könntest ihr erzählen, dass ich früher auch mal Sport getrieben habe. Dass ich ganz ordentliche Zeiten gelaufen bin und solche Sachen."

Arno musterte mich skeptisch, sagte aber nichts.

"Bei unserer ersten Begegnung habe ich behauptet, am Wilsdorfer Volkscross teilgenommen zu haben. Vor Jahren halt. Wenn du das bestätigst, klingt es glaubhafter."

"Glaubhafter?" Wieder glitt Arnos Polizistenblick über meinen Prachtkörper.

"Mensch, tu mir den Gefallen."

"Schon gut." Er schlug mir auf die Schulter, dass es meine Bandscheiben plättete. In der Folge mieden wir das Thema, aber ich wusste, auf Arno konnte ich mich verlassen.

Julia zu einem Treffen zu überreden, erwies sich als gar nicht so einfach. Noch immer verübelte sie mir meinen Kommentar in der letzten Runde von Schümmerich, obwohl sie ihn gar nicht kannte. Sie war halt empfindlich, ein echtes Seelchen. Und dass der Bericht in unserem Gemeindeblatt, in dem sie als Frauensiegerin des Dorflaufs gefeiert wurde, auf meine Veranlassung erschienen war, konnte sie ja nicht wissen. Erst im letzten Absatz wurde eine gewisse Petra erwähnt, die mit noch besserer Zeit in der W 40 gewonnen hatte. Julia sprach nicht darüber, aber ich glaube, der Artikel gefiel ihr.

Sie kam erst, als ich sie offiziell zur Vorbereitungssitzung für den Volkscross lud. Auch Moni, die Unvermeidliche, war mit ihren Wimperndummies dabei. Wir quatschten eine Zeitlang über dies und das, schließlich auch über die Favoriten.

"Wenn unser Udo noch jünger wäre!", warf Arno beiläufig in die Runde. "Dann stünde der Sieger schon fest."

Julia und Moni runzelten die Stirn. Bei Julia sah das hübsch aus, bei ihrer Freundin drohte der Solariumslack abzubröckeln.

 

"Wusstet ihr das nicht?", fuhr Arno fort. "Der Udo war früher ein ganz Starker. Eine Granate! Der hätte es weit bringen können."

"Naja", wand ich mich halb geschmeichelt, halb pikiert, aber Arno wedelte schon mit einem Stück Papier.

"Hier, das ist eine Bestenliste aus den Neunzigern, Verband Nordrhein. Was sagt ihr jetzt?" Sein knochiger Finger deutete auf einen Namen in der Spalte "10.000m/Jugend B". Ich traute meinen Augen kaum: Da stand "Pönzgen, U." und dahinter eine Zeit. Aber was für eine!

"32:44", flüsterte Julia ergriffen. "Das ist ja …" Ihre Stimme brach vor Ehrfurcht. Die schwarze Moni bekam den Mund nicht mehr zu.

"Wo … wo hast du das her?", röchelte ich.

"Das sind die alten Listen", meinte Arno achselzuckend. "Liegen beim Verband."

"Du bist eine 32er Zeit gelaufen!" Julia verschlang mich geradezu mit den Augen. "Als Jugendlicher! Mensch, Udo, warum hast du nicht weitergemacht?"

"Tja, warum?" Mir fiel ums Verrecken kein Grund ein, warum ich aufgehört hatte. Bei meinem Talent!

"Verletzungen", sprang Arno in die Bresche. "In dem Alter wachsen die Jungs noch, und damals hat man falsch trainiert."

"Wahnsinn", hauchte Julia, ein ums andere Mal den Kopf schüttelnd.

Den Vogel aber schoss ihre Freundin ab. Moni räusperte sich verlegen, um schließlich zu fragen: "Sag mal, Udo … wenn du so gut warst: Würdest du dich vielleicht herablassen, uns zu trainieren?"

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