Udos Welt

Folge 9: Runde Sache

"Berschinski?", sagte mein Nachbar, der alte Schmitz. "Ist das nicht der Verrückte, der versucht hat, in der Tempo 30-Zone von Oberstolzenbach die eigene Radarfalle auszulösen?"

"Er ist Polizist", entgegnete ich. "Er darf das."

"Aber als Läufer! Verstehst du, Udo, er ist gesprintet!"

Mit diesem Mann also, dem Radarfallenauslöser Arno Berschinski, traf ich mich zu einem ersten Volkscross-Gedankenaustausch auf seiner Terrasse. Im Verlauf des Abends tranken wir etwa 25 Stangen Sportlerkölsch. So nannte Arno seinen Spezialmix aus Bier und einem winzigen Spritzer Mineralwasser. Er servierte jedes Kölsch in einem neuen Glas, jedes Glas mit einer anderen Jahreszahl. Am Ende stand die komplette Sonderedition Kölschstangen der Kölner Marathonhistorie auf unserem Tisch. Als ich sagte, seine Sammlung müsste doch ordentlich was bei ebay einbringen, fand Arno das gar nicht witzig.

Aber Arno lacht ohnehin kaum. Wenn das ganze Leben ein Lauf ist, spart man sich das Lächeln für die Siegerehrung auf.

"Wir brauchen Dopingkontrollen", erklärte er finster, etwas Bierschaum im Schnurrbart. "Das Zeug verdirbt unsere Jugend, dagegen müssen wir was tun."

"Dopingkontrollen beim Volkscross?", erwiderte ich überrascht.

"Gerade da. Man muss ganz unten anfangen."

"Aber wirkt das nicht abschreckend?"

"Ganz im Gegenteil. Die jungen Leute werden sich darum reißen, einmal ins Glas pinkeln zu dürfen. Sie werden uns die Bude einrennen."

 

"Ich könnte mir vorstellen, dass das ziemlich teuer ist, solche Tests durchzuführen. Du brauchst Ärzte, Labore, Genehmigungen …"

"Stimmt. Deshalb werden wir es auch nicht tun."

"Was?"

"Die Tests durchführen."

"Aber eben sagtest du doch …"

"Udo, Udo, Udo", seufzte Arno und schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht, ob es an deinem Gewicht liegt, aber manchmal bist du auch gedanklich nicht der Schnellste. Wir kündigen die Dopingtests an, verstehst du? Kontrollen im Amateurbereich - das gibt dicke Schlagzeilen, Diskussionen pro und contra, eine Wahnsinns-PR. Der Volkscross als Vorreiter! Und dann blasen wir sie im letzten Moment ab. Wegen nicht erteilter Genehmigung. Dann haben die Behörden den Schwarzen Peter, und wir brauchen keine extra Pipizelte aufzustellen."

 

"Ach so."

"Siehst du? Noch ein Sportlerkölsch, Junge? Ich fürchte allerdings, dass mein Mineralwasser zur Neige geht."

"Gerne."

Zufrieden lehnte ich mich zurück. Über dem Horizont glühte die Maisonne, und dort, wo sie eben die Baumwipfel berührte, irgendwo in den Wäldern rund um Schümmerich, hüpfte die schönste Frau der Welt in den enganliegendsten Klamotten der Welt herum und wartete auf mich. Den Volkscross würde ich ihr als Hochzeitsgabe zu Füßen legen, wie es Katzen mit erlegten Mäusen tun. Es würde eine Veranstaltung werden, über die man in Wilsdorf, Schümmerich und Oberstolzenbach noch lange sprach, ob mit Pipizelt oder ohne. Arno hatte recht: Es reichte, die Dopingkontrollen anzukündigen. Sie würden Julias zugedröhnte Konkurrenz zum Startverzicht nötigen.

"Hier", schnarrte Arno und hielt mir ein neues Kölsch hin. "Tu was für deinen Carbo-Haushalt."

"Prost, Guru!", grinste ich. Ja, für die Neuauflage des Wilsdorfer Volkscross war einer wie Arno unverzichtbar, das stand fest. Besaß dieser Mann auch nur ein Oberteil, das noch nicht von Sicherheitsnadeln durchlöchert war? Sein Polizeihemd vielleicht. Wenn Julia das Gesicht des Laufes war und ich das Hirn, dann Arno die Beine. Keine schönen Beine, aber darauf kam es nun wirklich nicht an.

"Vorbereitung ist alles", knurrte Arno. "Ob du läufst oder einen Lauf veranstaltest: Die Vorbereitung ist das A und O."

"Das A und O", nickte ich. Udo, das Alpha-Tier und Arnos O-Beine - da musste unser Volkscross ja eine runde Sache werden.

© copyright
Die Verwertung von Texten und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport.de Redaktion (Adresse im IMPRESSUM) unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.