Udos Welt

Folge 7: Der Verrückte

Höchste Zeit, euch etwas über meinen Laufkumpel Arno zu erzählen. Arno - das war bis vor kurzem Polizeiobermeister Berschinski aus Oberstolzenbach für mich, und diesen Dann-wollen-wir-mal-ins-Röhrchen-blasen-Blick hat er tatsächlich noch hin und wieder drauf. Wenn ich einen seiner Trainingstipps anzweifle zum Beispiel. Aber wann kommt das schon vor!

Arnos Freundschaft zu gewinnen, war nach der Begegnung mit Julia das zweite Highlight dieses Frühjahrs. Eines Tages, ich hatte gerade meine Volkscross-Kampagne gestartet, betrat er in voller Montur mein Büro und erkundigte sich, ob ich derjenige sei, welcher der Wilsdorfer Laufszene neues Leben einhauchen wolle.

"Da ist doch nichts Ungesetzliches dabei?", fragte ich mit Blick auf seine Uniform.

"Ganz im Gegenteil", antwortete er und ließ seine Hand nach vorne schnellen. "Gibt es schon einen sportlichen Leiter für das Projekt, Kollege?"

Ich zögerte nur einen klitzekleinen Moment, dann schlug ich ein. "Jetzt ja, Kollege."

Seitdem weiß ich die komplette Polizeidienststelle von Oberstolzenbach hinter mir. Zwar führt der Wilsdorfer Volkscross größtenteils durch den Wald, aber man muss ja auch an die Verkehrsregelung bei der Anreise denken, erklärte mir Arno, an die Parkplätze für die vielen tausend Fans und überhaupt an die prekäre Sicherheitslage bei solchen Großereignissen.

"Letztes Jahr waren es bloß dreißig Teilnehmer", wagte ich einzuwenden.

"Letztes Jahr!", knurrte Arno voll Verachtung. "Letztes Jahr war der Volkscross ein alter Mann mit Krückstock. Heute ist er ein junger Wilder auf der Überholspur."

Damit hatte er natürlich recht. Und dass er recht hatte, war zum großen Teil sein Verdienst. Sobald die Leute hörten, dass Arno Berschinski aus Oberstolzenbach dem Volkscross-Rettungsteam beigetreten war, flüsterten sie: "Der Verrückte!" Und merkten sich den Termin.

Arno und verrückt? Klar ist er das. Verrückt sind wir Läufer doch alle. Von mir einmal abgesehen, ich bin bloß verknallt. Arno dagegen ist ein echter Irrer. Ein Lauffanatiker. Ein Ausdauerguru. Dompteur der roten Blutkörperchen. Mit seinen 55 Jahren hat er alles gesehen, alles erlebt: Comrades, Jungfrau, New York. In Barcelona hat er Dieter Baumann zum Europameister geschrieen, in Berlin einen von Hailes Weltrekordschwämmen stibitzt. Er kann dir jeden Trainingsplan der Welt herunterrattern, weiß die Streckenrekorde aller wichtigen Läufe, kennt Namen, Daten, Fakten. Nachts schläft er in Laufsocken. Sein erster Hund war ein Husky namens Zatopek. Wenn es Ohrringe von Asics gäbe - Arno würde sie tragen.

"Biel?", sagt er und winkt nur ab. "Natürlich war ich in Biel. Zig Mal! Am Ho-Chi-Minh-Pfad wollen sie eine Eiche nach mir benennen, gegen die ich immer gepinkelt habe."

Oder: "Rennsteig? Nee, mein Junge. Seit da nur noch Wessis rumlungern, müssen sie auf mich verzichten. Kein Charme mehr, kein Flair."

Oder: "Greif? Hör mir auf mit dem! Alles bei mir abgekupfert. Wochenpläne, Ernährung, Konzept - alles. Reine PR-Maßnahme, die Sache nach ihm zu benennen. Greif klingt halt besser. Wer will schon nach Berschinski trainieren? Kannste ja gleich zum russischen Geheimdienst gehen oder dir bulgarische Pillen bestellen."

Für Arno ist Laufen das Leben und das Leben ein Lauf. Den nur die Härtesten, Zähesten durchstehen. Leute wie er zum Beispiel, logisch.

Und Leute wie Udo Pönzgen? Mit ihren 105 Kilo Kampfgewicht?

Als ich ihn das fragte, legte mir der alte Haudegen Arno Berschinski einen Arm um die Schulter und sagte fast väterlich: "Dich kriegen wir auch noch so weit, Udolein."

Väterlich? Mittlerweile kommt es mir eher wie eine Drohung vor.

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