Laufen, Schauen, Denken Sonntags Tagebuch |
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"Bieler Juni-Nächte" Facetten
eines Laufjubiläums. Ein Ratgeber nicht nur für Erststarter von
Werner Sonntag. Siehe auch die Buchbesprechung "Bieler Juni-Nächte" im LaufReport in der Rubrik Bücher & Lesezirkel HIER |
Eine ganze Kategorie von Laufveranstaltungen ist aus geographischen Besonderheiten entstanden und verdankt ihre Entstehung topographischen Herausforderungen. Einer der bekanntesten deutschen Landschaftsläufe, der Rennsteiglauf, folgt Wanderrouten. Nach meinem Eindruck sind landschaftsorientierte Laufveranstaltungen beständiger als solche, bei deren Entstehung es allein auf die Erzielung von Bestzeiten angekommen ist.
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Panorama des Pückler-Parks Bad Muskau. Photo: Parkverwaltung
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Bei alledem, es gibt Chancen, die nicht genutzt worden sind. Ich denke an den Muskauer Park. Das ist ein einzigartiges Kulturdenkmal, von Fürst Pückler, Schloßbesitzer, Schriftsteller und Gartenarchitekt, erschaffen. Im zweiten Weltkrieg ist der Anlage übel mitgespielt worden; Schützengräben durchzogen den Park, das Neue Schloß brannte nach Brandstiftung aus. Erst nach der Wende ist das Schloß wiederhergestellt und in ein Pückler-Museum umgewandelt worden. Die UNESCO hat schließlich die kulturgeschichtliche Bedeutung des Parks, in Zentraleuropa des größten Landschaftsparks in englischem Stil, erkannt und im Jahr 2004 zum Weltkulturerbe erklärt. Der weitläufige Park diesseits und jenseits der Neiße liegt zu etwa einem Drittel auf der Gemarkung der ostsächsischen Stadt Bad Muskau und zu zwei Dritteln in der Republik Polen. Die sächsische und die polnische Parkverwaltung arbeiten eng zusammen, um diesen 1815 bis 1845 entstandenen Landschaftspark, eine der wenigen staatenübergreifenden Welterbestätten, zu bewahren.
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Den etwa 830 Hektar umfassenden Park durchziehen etwa 50 Kilometer Wege und Straßen für Radfahrer und Pferdefuhrwerke. Auf der Neiße kann man ihn im Boot durchqueren. Fehlt da nicht etwas? Ich meine, dieser Park sollte Austragungsort einer Laufveranstaltung werden, eines Pückler-Laufes. Ein Beispiel: Ich denke daran, daß der Berliner Mauerweg-Lauf einem statischen Denkmal die Dynamik eines Erlebnisses eingehaucht hat. |
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Die breiten ebenen Wege des Pückler-Parks eignen sich ebenso dazu, den Park auch durch ein Lauferlebnis zu erschließen. Eine Laufveranstaltung entspräche nach meiner Meinung durchaus dem Unternehmungsgeist des Fürsten Pückler, seinem Hang zum Abenteuer, seinem globalen Denken, das ihn in der DDR-Zeit als „Junker“ verdächtig gemacht und lange Zeit die Pflege des Parks behindert hat. Ein Pückler-Lauf wäre jedenfalls erheblich sinnfälliger denn der Name einer Eissorte, die in Bad Muskau zum Probieren angeboten wird.
Sicher ist in Bad Muskau nicht das organisatorische Potential für eine solche Veranstaltung vorhanden; doch Cottbus ist nur wenig mehr als 30 Kilometer entfernt. Zudem hat Cottbus im Ortsteil Branitz ebenfalls einen Pückler-Park. Wahrscheinlich könnte man polnische Organisatoren zur Kooperation gewinnen. Der Lauf über die Grenze der Lausitzer Neiße ist vermutlich geeignet, auch für andere Veranstaltungen wie den Marathon in Wroclaw (Breslau), Posen und Warschau zu interessieren („Beim Nachbarn laufen!“). Die Voraussetzungen einer binationalen Kooperation scheinen mir dank vielfachen Erfahrungen mit deutsch-polnischen Festen in den grenznahen Gebieten vorhanden.
Ein Pückler-Lauf durch den Muskauer Pückler-Park (polnisch: Park Muzakowski) wäre ein Lauf, der eine Grenze überwindet und damit primär Teilnehmer aus zwei Nationen anzieht. Der Charakter des Parks, eines ausgedehnten Landschaftsparks, legt einen Ultra nahe. Für Ultraläufer, die bei der Wahl einer Veranstaltung das Landschaftserlebnis suchen, wäre ein Lauf durch den Pückler-Park ein einzigartiger Anziehungspunkt.
Am 7./8. Oktober ist das fünfzigjährige Bestehen des Schwarzwaldmarathons begangen worden, das Jubiläum einer Laufveranstaltung, die in der Laufgeschichte einen Markstein gesetzt hat. Darüber offenbar ist der Termin einer anderen wichtigen Veranstaltung eine Woche zuvor in den Hintergrund getreten. Da liegt zwar kein Jubiläum vor, aber für Ultraläufer zumindest in Europa ist der Lauf von programmatischer Bedeutung – der Spartathlon, jener Lauf mit authentischem historischen Hintergrund und weltweit einer der anspruchsvollsten Ultraläufe. In spätestens 36 Stunden sind die 246 Kilometer von Athen nach Sparta zurückzulegen.
Nachdem 1982 der britische Luftwaffen-Commander John Foden mit vier Kameraden probiert hatte, ob die Angabe des griechischen Historikers Herodot plausibel sei, ein Bote habe bis zum Abend des auf den Starttag folgenden Tages, in 36 Stunden also, in einem Stück die Strecke und ihre 3000 Höhenmeter bewältigt, um die Spartaner um Waffenhilfe zu bitten, horchte die Ultraszene auf. Bereits im Jahr darauf wurde der Lauf öffentlich ausgeschrieben; 16 Läufer starteten, alle kamen an.
Im Laufe von drei Jahrzehnten steigerte sich die Teilnehmerzahl auf 369 in diesem Jahr. Allerdings erreichten nur 265 in 36 Stunden – in einem Fall mit kleiner Verspätung – das Ziel. Verspätungen werden offenbar toleriert. Das war, als ich 1992 im Alter von 66 Jahren meinen dritten Spartathlon lief, leider nicht der Fall; ich stieß zwar zu der Festversammlung an der Statue des Leonidas in Sparta, fiel aber, weil ich länger als 36 Stunden unterwegs war, aus der Wertung.
In diesem Jahr war Aleksandr Sorokin aus Litauen mit 22:04:04 Stunden der schnellste und Patrycja Bereznowska aus Polen mit 24:48:18 die schnellste Frau. Unter den Deutschen lag Antje Krause mit 28:13:57 Stunden an der Spitze. Ihr folgte nach etwa 30 Minuten (28:44) Dr. med. Dietmar Göbel, M50, von der vor zehn Jahren gegründeten LSG Schwarzwaldmarathon, ein ehemaliger Kunstturner, der in Donaueschingen als Orthopäde praktiziert. Er hat zum fünften Mal den Spartathlon bewältigt (Persönliche Bestzeit: 26:15:57). Die hohe Zahl von Ausscheidenden erkläre ich mir damit, daß die Faszination des Laufes von Athen nach Sparta vielleicht stärker ist als das geeignete Läufer-Potential.
Auf dem Weg von der Garage zum Haus hatte ich am 5. Oktober Mühe, mich dem Sturm entgegenzustemmen. Dabei ist es in unserem Landstrich weit häufiger windstill denn stürmisch. Auf den etwa 75 Metern zwischen Haus und Garage beschloß ich, das Gehtraining heute ausfallen zu lassen. Das kommt ganz selten vor – bei unaufhörlichem Regen, bei Gewitter und bei Glatteis. Ich kann mich nicht erinnern, jemals wegen eines Sturmes auf das Training verzichtet zu haben. Ich habe auch nicht hin und her überlegt; es war ein spontaner Entschluß.
Die Nachrichten am Abend haben meine Entscheidung bestätigt. Sieben Menschen haben an diesem Tage infolge von Wettereinflüssen ihr Leben verloren. Der typische Unfall war nicht, beim Training im Freien, sondern im Auto von einem niederkrachenden Baum erschlagen zu werden. Eisenbahnzüge blieben stehen, Flugzeuge schlitterten über die Landebahn. Im Südwesten war es längst nicht so schlimm wie im Norden; aber es reichte für den Entschluß, das Training lieber ausfallen zu lassen.
Ergo: Es reicht nicht immer, auf den Körper zu hören; zuweilen ist auch ein Blick in den Himmel angebracht.
Noch bewege ich mich außer Haus mit zwei Unterarm-Gehstützen, im Zimmer mit nur einer. Wenn ich zum Bücherregal gehe, verzichte ich auch schon mal auf jede Hilfe. Den Rollator benütze ich kaum. Im dritten Monat nach meinem Sturz am 20. Juli ist der Wiederherstellungsprozeß deutlich erkennbar.
Dennoch, das Bewegungsdefizit ist riesig. Worüber schreibt jemand, der sonst in seinem Tagebuch über Laufen schreibt? Nach Berlin wäre ich gefahren – zum 100-Meilen-Lauf auf dem Mauerweg. Ich schätze diesen Lauf aus mehreren Gründen: Läuferisch ist er auch für Ultraläufer eine Herausforderung, so wie die 100 Kilometer, als es in Europa allein den 100-Kilometer-Lauf in Biel gab, eine Herausforderung für Marathonläufer waren. Ich schätze Läufe, die unter nichtsportlichen Aspekten in unser Leben, seine positiven und seine negativen Seiten, eingebunden sind. Politische Feiertage wie der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit, verblassen; es sind mehr oder weniger arbeitsfreie Tage, sonst nichts. Erinnert sei an den 17. Juni – was war denn da? Der Mauerweglauf ist die wohl aktivste Art, einen Gedenktag zu feiern. Im Grunde brauchten wir für den Tag der Deutschen Einheit eine repräsentative Laufveranstaltung. Der Mauerweglauf wäre es. Nein, ich will um Himmelswillen keine Diskussion darüber und keine Termin-Verschiebung. Es muß ja auch kein Ultralauf sein. Ich will nur die Bedeutung des Mauerweglaufs charakterisieren. Ich schätze zudem die Streckenführung, den Großstadtlauf im Grünen, ebenso die Organisation. Daher also bin ich auch nur als Beobachter gern zum Mauerweglauf nach Berlin gefahren.
Versteht sich, daß ich zum Fünfzig-Jahr-Jubiläum des Schwarzwaldmarathons nach Bräunlingen gefahren wäre. Es wäre reizvoll gewesen, vielleicht weiteren der über 600 Teilnehmer von 1968 zu begegnen. Jedesmal hätte ich die aktuelle Veranstaltung aus eigener Anschauung kommentiert. Jetzt hingegen, worüber schreibt einer, der nicht einmal als Beobachter dabei ist? Er schreibt über sich.
Die Alternative wäre zu schweigen. Doch es zeigt sich, daß diese Alternative zumindest nicht von allen Lesern akzeptiert wird. Immer wenn ich, wie jetzt nach dem Oberschenkelhalsbruch, das Tagebuch unterbreche, kommen Reklamationen. Warum schreibt er nicht? Ist es vielleicht gar nicht das Laufen, das viele Leser an das Tagebuch gebunden hat, sondern einfach das Bedürfnis nach einer menschlichen Beziehung abseits von Leistungsmessung?
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