Die unglaublichen Resultate, die japanische Athleten beim Biwa-See-Marathon Ende Februar erzielten, beschäftigen Dr.-Ing. Markus Heidl. Was ist dran am anderen Konzept, für Firmen und nicht für Vereine zu starten? Oder liegt es am anderen Training? Es geht im Beitrag nicht um die Vor- und Nachteile reiner Eliterennen, die wir aktuell bei uns erleben. Zum 54. Pro & Kontra

wawa, 11.3.2021

Tausendundein Gründe, warum wir laufen
von Markus Heidl

Am 28. Februar fand der letzte Biwa-See-Marathon statt. Das könnte man als sehr schade bezeichnen, ist doch das traditionelle Eliterennen stets ein besonderes gewesen. Nach 76 Ausgaben wird das Rennen ab nächstem Jahr vom Osaka Marathon geschluckt. Besser jedoch hätte die Geschichte des Lake Biwa Marathon nicht enden können. Es war ein Ende mit Knall, ein doppeltes Ausrufezeichen, ein absoluter Hammer! Und damit ein wirklich würdiger Abschluss:

Bei perfekten Bedingungen wurde nicht nur ein neuer japanischer Rekord gelaufen, auch die Dichte des Feldes war überwältigend. Als erster überlief Kengo Suzuki die Ziellinie. Nach 36 Kilometern, als es gerade so schien, als entglitten alle Rekordversuche, zündete er die Rakete und lief die letzten 6 km im Schnitt von 2'51-2'53/km, für die letzten 5 km wurden 14:24 min gestoppt. Das Ergebnis: unglaubliche 2:04:56 Stunden - eine Zeit, die an das sagenumwobene Rückenwindrennen in Boston erinnert, als Ryan Hall ebenso die 2:05 h knackte. Es ging aber noch weiter: insgesamt liefen fünf Männer unter 2h07, 15 Männer unter 2h08, 28 Männer unter 2h09 und 42 Männer unter 2h10. Allesamt Japaner! Mit einer Zeit von 2:15:19 h landete Takashi Kono gerade einmal auf Rang 100. Und der mittlerweile weltweit bekannte Yuki Kawauchi lief am Biwa-See als Zehnter übrigens eine neue persönliche Bestzeit von 2:07:27 h. Stellt euch das einmal in Deutschland vor!

Vielstarter Yuki Kawauchi hier beim BMW Berlin Marathon und beim Bitburger 0,0% Silvesterlauf in Trier mit Gesa Krause und Micah Kogo (Foto oben)

Nun soll es in diesem Pro & Kontra nicht um die Vor- und Nachteile reiner Eliterennen gehen, die wir in unserer aktuellen Lage derzeit öfter erleben. Es soll vor allem um das völlig andere Konzept des japanischen Laufsports gehen. Dieses findet nämlich trotz des beachtenswerten Erfolges hierzulande kaum Beachtung. Aufgrund der immer wieder überzeugenden Ergebnisse müssen wir uns doch etwas abschauen können, denn mit den genetischen Vorteilen afrikanischer Läufer:innen können wir uns diesmal nicht herausreden. Auch könnte man wieder mit der Schuh-Thematik beginnen und wie viel uns die neue Technik (die Kombination aus Schaum und Carbon) schneller macht - diese kommt mittlerweile aber weltweit jedem zugute. Das japanische Modell vereint einiges mehr.

Hervorragend ist zunächst die Stellung der Läuferinnen und Läufer. Das Laufen ist zwar nicht Volkssport Nr. 1 und nicht mit dem deutschen Fußball zu vergleichen, dennoch aber ein ehrenhafter Sport. Weiterhin ist das Laufen dort sowohl in die Uni, als auch - und das ist für Profiläufer noch viel interessanter bzw. wichtiger - in die anschließende berufliche Karriere integriert. In Japan wird nicht für Vereine sondern für Firmen gestartet, auf deren Gehaltsliste die Athletinnen und Athleten stehen. Nach Ende der sportlichen Karriere geht es nahtlos als Arbeitnehmer:in weiter, sodass positive Attribute wie Leistungswillen, Disziplin, Durchhaltevermögen usw. Einzug in die Unternehmenskultur halten. Die finanzielle Absicherung der Gegenwart und Zukunft wiederum ermöglicht die volle Konzentration auf das (Marathon-) Training.

Und zusätzlich zu all diesen organisatorischen Grundvoraussetzungen ist da außerdem noch ein komplett anderes Trainingskonzept. Übertrieben könnte man es als Konzept der Langsamkeit bezeichnen, steht doch vor allem der Umfang im Fokus. Wird bei uns von wirklich hohen Umfängen gesprochen, reden wir von 200 km pro Woche. In Japan hingegen scheinen 200 Meilen pro Woche nicht unüblich: das entspricht 320 km/Woche. Natürlich im angepassten Tempo, häufig auch sehr langsam, bis gar hin zu langen Wanderungen. Es geht um die Willensstärke und schlicht die Zeit, die "auf den Füßen" verbracht wird. Selbst ein Spitzenläufer wie Yusuke Ogura, beim Biwa-See-Marathon Fünfter und mit einer Halbmarathon-Bestzeit von exakt 60 Minuten (!) ausgestattet, joggt nicht selten im 5'00/km-Schnitt daher, wie man auf der Plattform strava einsehen kann. Da sind wir, die wir 2:30 h-, 3:30 h- oder auch 4:30 h-Marathonläufer:innen sind, häufig im gleichen Tempo unterwegs. Vielleicht sollte uns das zu denken geben.

Im Spitzensport geht es vor allem um Glauben sowie darum, die richtigen Reize zu setzen. Mit Glauben ist an dieser Stelle der Glaube an die eigenen Fähigkeiten (Selbstbewusstsein) sowie in das eigene Training gemeint: wer nicht davon überzeugt ist, das Richtige zu trainieren, kann nicht erfolgreich sein. Gleichzeitig ist aber zu beobachten, dass immer mehr Läuferinnen und Läufer immer ähnlicher trainieren. Auf der einen Seite ist das gut. Zum einen kann man sich gegenseitig unterstützen, zum anderen aus den guten Ergebnissen der anderen Selbstbewusstsein ziehen. Dennoch heißt es noch lange nicht, dass ein Trainingskonzept, dass für A funktioniert, auch für B funktionieren muss. Schnelle lange Läufe beispielsweise sind derzeit "in", funktionieren allerdings sicher nicht für alle. Dann lohnt ein Blick über den Tellerrand hinaus. Wie wäre es stattdessen mit einer 60-km-Wanderung? Es gibt viele Wege nach Rom - oder in diesem Fall besser gesagt: nach Marathon.

Beitrag von Markus Heidl
Fotos © LaufReport

leserbriefe@laufreport.de

Aktuelles im LaufReport HIER

© copyright
Die Verwertung von Texten und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport.de Redaktion (Adresse im IMPRESSUM) unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.

Datenschutzerklärung