Konjunktur haben die Angebote des virtuellen Wettkampfs. Gut ist, dass das Laufen noch in der Realität verbleibt und ohne Bewegungsübelkeit. Die ist eine Begleiterscheinung in der virtuellen Realität. Öffnen die auferlegten Corona-Beschränkungen der Virtualität die Pforten? Werden wir bald mit Virtual-Reality-Headsets und Datenhandschuhen unsere Laufwettbewerbe auf omnidirektionalen Laufplatten austragen? Die von Dr.-Ing. Markus Heidl angemahnte hinkende Vergleichbarkeit ließe sich beheben.

Walter Wagner, 29.4.2020

Können virtuelle Rennen mehr sein als ein Kampf gegen sich selbst?
von Markus Heidl

Kanntet ihr die Website digitalepo.com? Dort wurden dem modernen Doper gänzlich neue Möglichkeiten geboten. Was wurden von Betrügern im Sportgeschäft schon für Anstrengungen unternommen, um andere davon zu überzeugen, dass sie besser sind, als sie es tatsächlich waren. Doch Dopingmittel kosten Geld, sind potentiell gefährlich und man läuft Gefahr, gesperrt zu werden.

Einfacher funktionieren die Betrügereien im digitalen Raum. Denn digitale Daten sind leicht zu manipulieren. Auf der bewussten Website, die mittlerweile abgeschaltet ist, konnte man ganz leicht seine aufgezeichneten Bewegungsdaten hochladen und eingeben, um wie viel Prozent man gerne schneller gewesen wäre. Zack, schon ist man Streckenbestzeit oder gar Weltrekord gelaufen. Nun, man muss es nicht ganz so offensichtlich machen. Hier soll es nur um die Möglichkeit gehen, ebenso könnte man die Herzfrequenz verringern oder Höhenmeter ergänzen. Den epischen Vorstellungen sind keine Grenzen gesetzt!

Nun handelt es sich im beschriebenen Fall um die vorsätzliche Variante, die wir als faire Sportler gerne ausschließen würden. Doch gerade wenn es um Segmente oder die aktuell stark aufkommenden virtuellen Rennen geht, kann solch digitales Doping auch unabsichtlich geschehen. Messfehler unserer GNSS-Uhren (global navigation satellite system) kommen häufiger vor!

Typischerweise sprechen wir, so rechnete mein Professor für Messtechnik im Studium vor, auf eine Distanz von 10 km von einer Abweichung von ±200 m. Das kann die Ergebnislisten virtueller Rennen gehörig durcheinander würfeln! Überhaupt hat es mich schon immer geärgert - und das hier nur am Rande - wenn im Ziel von Rennen davon gesprochen wurde, dass die Strecke zu kurz oder zu lang sei, nur weil mehrere Uhren entsprechend gemessen haben. Häufig ist das Wertschätzen der standardisierten, offiziell vermessenen Strecke völlig verloren gegangen!

Doch zurück zu den unbeabsichtigten Vorteilen: durch Abschattungen (durch Gebäude, Bäume, etc.), Signal-Reflexionen (an größeren Flächen) oder auch Glättung von Kurven kommt es zu systematischen Fehlern, die schwer zu unterdrücken sind. Eindeutiges Indiz dafür wäre es beispielsweise, wenn der aufgezeichnete Track zur Seite springt oder zackig wird. Zur Erreichung von hohen Genauigkeiten sind entsprechend Umgebungen mit freier Horizontsicht günstig. Umso anfälliger sind diese Flächen dann natürlich aber für Wind.
Und Rückenwind und Gefälle sind die nächsten Einflussfaktoren, die sich bei virtuellen Rennen für jeden unterschiedlich gestalten. Digitale Wettkämpfe sind einfach kein adäquater Ersatz für wirkliche 1:1 Duelle, bei denen für jeden die gleichen Bedingungen herrschen. Auch die Motivation ist eine andere: die Gemeinschaft fehlt, wenn man normalerweise all die anderen am Wettkampfort trifft, das Adrenalin fehlt, wenn man einsam im Wald statt dicht gedrängt an der Startlinie steht und natürlich knautscht es sich auch besser, wenn es mit anderen in den Zielspurt geht, als wenn man ganz allein noch einmal beschleunigen muss.

Nichtsdestotrotz und allen Vorbehalten zuwider, ist die grundsätzliche Idee des gemeinsamen Sporttreibens eine hervorragende Idee. In Zeiten wie diesen haben wir nun mal keine Wahl, als uns vernünftigerweise virtuell zu treffen. Doch gerade im Vergleich ist Vorsicht geboten, nicht dass man sich noch am Ende herunterziehen lässt, nur weil andere vermeintlich schneller sind. Schließlich gibt es immer eine/n Schnellere/n! Die digitale Welt ist und bleibt nur ein Zerrbild der Realität. Auch völlig unabsichtlich ist man dort teilweise schneller oder öfter auch langsamer, als man es wirklich war.

Lasst uns gemeinsam Sport treiben, und sei es nur virtuell. Nur das Wetteifern, das müssen wir fairerweise verschieben.

Beitrag von Markus Heidl
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