Wie man es macht, ist es falsch. Eine Volksweisheit, die sich auch bei der Olympiaqualifikation unterschreiben ließe. Ob es was für Deutschland wäre, die Olympiatickets im Marathon bei einem direkten Vergleich am Tag X zu vergeben? Einiges spräche dafür, anderes für den bisherigen langwierigen Tanz, dem noch der Leistungsnachweis folgt. Wie auch immer, die Medaillenausbeute der letzten Jahrzehnte spricht nicht gegen ein geändertes Verfahren. Dr.-Ing. Markus Heidl hat sich so seine Gedanken dazu gemacht.

Walter Wagner, 4.3.2020

Marathon-Trials für Deutschland?

Skulptur von Gerhard Völkle
von Markus Heidl

Am Samstag wurden die US-amerikanischen Marathon-Trials ausgetragen. 42,195 km durch das hügelige und windige Atlanta, über mehrere Runden, sodass es für die Zuschauer viel zu sehen gab. Große Felder und spannende Rennen, von ambitionierten Hobbysportlern bis hin zur absoluten Elite, schließlich ging es um die Olympia-Tickets. Auch die Athleten waren begeistert und sprachen ob der Stimmung von einem "scream-tunnel", also einer Atmosphäre wie im Stadion. Jedes Straßenläufers Herz lassen solche Berichte höher schlagen. So stellt sich erneut die Frage: brauchen wir das auch?

Der Modus ist denkbar einfach. Jede und jeder, die bzw. der sich über den "B-Standard" (Halbmarathon unter 1h15 für Frauen bzw. 1h05 für Männer) qualifiziert, darf am Ausscheidungsrennen teilnehmen, die ersten drei laufen dann für die USA den Olympischen Marathon. Klare Regeln, die für eine tolle Show sorgen, weil spannende Rennen garantiert sind. In gewisser Weise spiegelt dieses Wettkampfformat auch den amerikanischen Traum wieder, weil jeder, der es an die Startlinie des Ausscheidungsrennens schafft, eine Chance auf Olympia hat.

Allein diese Chance inspiriert viele, es einfach einmal zu probieren. Gerade der Marathon ist unberechenbar, alles kann passieren. So auch wieder am Samstag, denn von den Favoriten hat es schließlich nur einer ins Team geschafft.

Bei den Frauen waren im Vorfeld Emily Sisson, Jordan Hasay, Des Linden, Molly Huddle und Sara Hall favorisiert. Von diesen "Big Five" lief nur Des als (tragische) Vierte unter die besten 25 und ein gutes Rennen (was sie eigentlich immer tut). Bei Olympia ist damit allerdings keine mit dabei, zumindest nicht über die Marathondistanz. Aliphine Tuliamuk hatte in ihrer bisherigen Karriere "nur" durch nationale Titel überzeugt, Molly Seidel lief ihren ersten Marathon überhaupt und Sally Kipyego lief ihr Comeback nach ihrer Babypause.

Und auch bei den Männern hätte man, bis auf Galen Rupp, der nach langer Verletzungszeit ein sehr starkes Rennen zeigte und jetzt mit Frank Shorter gleichzog, zwei Marathon Trials gewonnen zu haben, auf andere getippt. Scott Fauble beispielsweise zeigte zwar ein ordentliches Rennen, musste elf anderen Männern aber den Vortritt lassen. Jared Ward, in Rio zuletzt Sechster, kam nicht über einen 27. Platz hinaus. Wer hätte auf Jake Riley, der bisher noch keinen Sponsor hatte, und den bereits 43-jährigen Abdi Abdirahman getippt? Im Sport ist alles möglich.

Genau das zeichnet Wettkampfformate wie die Trials (oder auch Playoffs) aus: die vielen tollen Geschichten, das Drama, die Ungewissheit und die Überraschungen. Wenn dann noch eine zuschauerfreundliche Strecke für die Fans vor Ort und eine gute Fernsehübertragung hinzukommen, gibt es keine bessere Werbung für unseren Sport.

In Deutschland haben wir eher das Gegenteil. Nicht nur, dass sich unsere Elite auf viele verschiedene Rennen verteilt und herausragende Leistungen wie von Katharina Heinig in Japan oder von Amanal Petros und Hendrik Pfeiffer in Spanien fast untergehen, oft liegen sogar große City-Marathons an ein und demselben Tag und werden zeitgleich ausgetragen. Jeder außer den hartgesottenen Fans verliert dabei den Überblick, ein einziges Rennen im Trialformat bündelt die vielen Einzelschicksale und ist einfacher nicht zu gestalten. Jeder weiß im Anschluss, wer nominiert wird.

Nun könnte man einbringen, dass die aktuell besten (in Bezug auf ihre im Qualifikationszeitraum erbrachte Zielzeit) zu den Spielen fahren sollten, nicht sogenannte "one hit wonder". Diejenigen, die über die letzten Jahre stets konstant gute Leistungen gezeigt haben, haben es sich mehr verdient, für die Olympischen Spiele nominiert zu werden, als diejenigen, die nur ein herausragendes Rennen gezeigt haben. Andererseits muss man zeigen, dass man am Tag X liefern kann, ob nun bei den Trials oder bei Olympia. Und ganz böse Zungen könnten wiederum einwenden, dass es völlig egal ist, ob die für Deutschland laufenden Athletinnen und Athleten nun beim Olympiarennen auf Platz 10, 22 oder 53 laufen.

Auch betrachten müssen wir die finanzielle Situation der Athleten. Bereits durch den Start bei internationalen Meisterschaften fallen das Antrittsgeld und andere finanzielle Boni weg. Zumindest beim Qualifikationsrennen müsste man also sicherstellen, dass sich durch die Attraktivität der Veranstaltung Sponsoren finden lassen, die für ein Preisgeld sorgen, dass sich Profiathleten finanzieren können.

Weiterhin müssen wir uns fragen, ob wir uns Trials überhaupt erlauben können, denn die Qualifikationsleistung muss erbracht werden. Trials lassen zumindest die Möglichkeit offen, taktisch zu laufen. Was nun, wenn die ersten drei Plätze mit Zeiten, die fünf Minuten über der Norm liegen, erreicht werden? Dann haben sich die Athleten zwar national durchgesetzt, sind aber noch nicht qualifiziert. Das würde das komplette Ausscheidungsrennen ad absurdum führen. Gelaufen werden müsste entsprechend auf einer schnellen Strecke, je nachdem, wie die Vorleistungen waren, müssten auch Tempomacher eingesetzt werden.

Obwohl sich die Leistungsdichte im deutschen Marathonlauf deutlich erhöht hat, reicht sie wohl noch nicht für eine so tolle Show wie die Trials. Mit dem Vorzugsrecht für deutsche Meister sind wir aber schon den ersten Schritt auf diesem Weg gegangen. Für die Begeisterungsfähigkeit unseres Sports ist es sicher von Vorteil, auf diesem Weg weiter zu gehen.

Beitrag von Markus Heidl
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