Das Internet hat die Medienlandschaft grundlegend verändert. Es wird gepostet, geliked, gefollowed ohne Einschränkung, Hasskommentare einmal ausgenommen. Die Möglichkeiten der digitalen Welt kennt kaum Grenzen. Propaganda und Einflussnahme eröffnet der welt-weite Wahnsinn neue Wege. Hemmungslos nutzt das Marketing den persönlichen Zugriff auf den User. Rasch entwickelt sich die Technik fort, die Menschheit hinkt mit Abstand hinterher. Doch man wird begreifen und eingreifen. Das digitale Schlaraffenland der Milliardäre wird nicht von Dauer sein.

Walter Wagner, 16.1.2020

Die Krux der vermeintlich gerechten Abstimmung

Jokus-Brunnen in Heppenheim von Markus Heidl

Das Jahresende ist neben den Silvesterläufen vor allem durch Zweierlei geprägt: Jahresrückblicke und Abstimmungen, so beispielsweise zum "beliebtesten Marathon" des Jahres. Nun ist das Endergebnis dieser Abstimmung zwar marketingtechnisch gut zu gebrauchen, muss doch der Marathon, der sich dieses Label ergattert, vieles richtig gemacht haben. Als absolut ist das Ranking aber nicht zu betrachten. Denn die Auswahl der Wähler ist nicht repräsentativ.

Für eine demokratische Wahl müsste überprüft werden, dass jeder nur einmal abstimmt. Dafür aber müsste man sich anmelden oder registrieren. Nun ist das in unserer Gesellschaft gemeinhin schon viel zu aufwendig - abgesehen von den Datenschutzbestimmungen, die eingehalten werden müssen - sodass sich die Zahl der Stimmen drastisch reduzieren würde. Weiterhin müsste für eine gerechte Wahl viel Aufwand betrieben werden, um die Hartnäckigen mit mehreren Emailadressen zu identifizieren und aus der Wahl auszuschließen.

So gibt es bei Abstimmungen im Internet meist pro Tag und IP-Adresse eine Stimme, die man abgeben kann. Dadurch geht es bei solchen Abstimmungen heutzutage nur darum, wer am häufigsten klickt: am besten jeden Tag, einmal vom Rechner und einmal vom Handy. Es gewinnt in unserem Beispiel nicht der beliebteste Marathon, sondern der mit der größten Reichweite, weil es keinen Überblick über die Beteiligung gibt und die Fleißigen, die jeden Tag erneut klicken, diejenigen, die nur einmal insgesamt abstimmen, unverhältnismäßig überstimmen.

Der beliebteste Marathon ist folglich aller Wahrscheinlichkeit nach der mit der größten medialen Reichweite. Wenn es nicht eine/n pfiffige/n Informatiker/in gibt, die die IP-Adresse ändern und so tausende von Stimmen erzeugen kann. In gleicher Weise gibt es weitere Internetabstimmungen, deren Resultat man nicht glauben kann.

Generell geht es heutzutage nur noch um Reichweite. Gesehen wird derjenige mit den meisten "Followern", nicht der oder diejenige mit dem wertvollsten Inhalt. Schöne - oder vor allem eindrucksvolle - Bilder sind mehr wert als Inhalt. Wer auf der jeweiligen Plattform engagiert ist, viel von sich preis gibt und ebenso freigiebig mit Lob ("likes" und Kommentaren) ist, wird gesehen und gehört. Entsprechend wächst die Reichweite. Die Aussage muss innerhalb von Sekunden erfasst werden können, länger ist die Verweildauer nicht mehr.

"Folgt mir auf meinem Weg ohne Ziel!" könnte der passende Slogan dazu sein. Denn selbst die besten und durch ihre Leistungen bekanntesten Läuferinnen und Läufer müssen heute Zeit investieren, um medial gesehen zu werden. Leistung alleine reicht nicht, man muss sich (auch) präsentieren. Streitfall ist in dieser Hinsicht der sich selbst sehr gut inszenierende Philipp Pflieger. Doch wie viel seiner Zeit fressen die vielen Posts? Wären er und alle, die sich ebenso verhalten müssen, schneller, wenn sie sich mehr aufs Laufen und die Regeneration kümmern würden als um die Vermarktung ihrer selbst?

In gewisser Weise obliegt hier auch den Sponsoren Verantwortung: wie oft wird gefordert, dass die zur Verfügung gestellten Produkte präsentiert werden? Wird Hilfe für die Aufnahmen zur Verfügung gestellt? Entsprechend kann der Fokus gesetzt werden.

Immerhin: beim Laufen lernt man zwei Dinge, die in unserer heutigen Zeit immer rarer werden. 1.) Läuft man in der Gruppe, lernt man zu kommunizieren, ohne ständig digital abgelenkt zu werden. Und 2.) läuft man alleine, lernt man mit den eigenen Gedanken umzugehen, mit sich selbst allein zu sein. Außer natürlich, man hat selbst beim Laufen das Smartphone (im Blickfeld/leicht erreichbar) dabei. Viele haben diese Tugenden längst verlernt.

Reichweite ist heutzutage Macht. Wie viel Macht es ist, liegt an uns selbst. Wie viel Macht über uns sind wir bereit, abzugeben?

Beitrag von Markus Heidl
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