Nicht immer sind es nur Trainingsfleiß, Talent und Begabung allein, die Sportler befähigen, sich im Kreis der Weltbesten zu bewegen. Der Kampf gegen Doping ist weitgehend unstrittig. Beinahe unlösbar scheint es, abweichend sexuell entwickelte Sportler im System fair einzuordnen. Mit dem am 8. Mai in Kraft getretenen CAS Urteil wird in der Leichtathletik der Testosteron-Gehalt im Blut zum Marker. An sich gesunde Sportlerinnen werden verpflichtet, ihren Testosteronwert mit Medikamenten zu reduzieren oder von der Teilnahme am internationalen Sport ausgeschlossen. Markus Heidl beleuchtet das no-win-Szenario im Pro & Kontra

Walter Wagner, 9.5.2019

Keine leichte Entscheidung

von Markus Heidl

Es gibt Probleme, für die gibt es keine Lösung. Zumindest keine, die aus allen Blickrichtungen fair erscheint. Ein solches Beispiel ist die aktuelle Debatte um das Startrecht für intersexuelle Athleten über die Mittelstrecken bei den Frauen. Diesbezüglich lautet das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS, dass ab 8. Mai die Regel des Leichtathletik Weltverbandes IAAF gelten wird, die Sportlerinnen mit Unterschieden in der sexuellen Entwicklung dazu verpflichtet, einen Testosterongehalt von fünf Nanomol pro Liter Blut nicht zu überschreiten.

Das war keine leichte Entscheidung, ein sogenanntes no-win-Szenario. Der Sport zwingt uns dazu, eine klare Linie bei etwas zu ziehen, wo es in der Realität nur eine verschwommene Grenze gibt. Denn im Sport unterscheiden wir schon sehr lange nach Geschlechtern, um die Wettkämpfe fair zu gestalten. Träten alle in der gleichen Kategorie an, hätten Frauen keine Chance. Über 400 m beispielsweise würde die schnellste Frau von über 5000 Männern geschlagen.

Wie aber unterscheiden wir Mann und Frau?

Wenn wir uns also dafür entscheiden, dass es eine getrennte Wertung für die Geschlechter geben muss, müssen wir diese auch klar unterschieden. Bisher wird dafür der Testosteronwert herangezogen, der auch im Urteil gedeckelt wird. Es gibt aber keinen allumfassenden biologischen Marker, der das Geschlecht unterscheiden kann. Testosteron verwenden wir als Ersatz, weil es die Muskelmasse, die Kraft und das Hämoglobin erhöht, was die Ausdauer beeinflusst. Würden wir beispielsweise die Chromosomen als Unterscheidungsmerkmal benutzen, dürfte ein Michael Phelps, den alle für seine langen Arme und seine großen Füße bewundert haben, nicht starten. Die besten unterscheiden sich nun einmal von der großen Masse.

Dass wir Testosteron als Marker benutzen, liegt daran, dass es so gut wie keine Überlappungen zwischen den Werten und den Geschlechtern gibt. Wäre das Unterscheidungsmerkmal beispielsweise auf die Größe übertragbar, wären 99,9 % aller Männer größer als 1,80 m und 99,9 % aller Frauen kleiner als 1,68 m. Nun gibt es aber diese Ausreißer, die 0,1 %.

Namentlich mit dem Urteil in Verbindung gebracht wird immer wieder Caster Semenya. Ihr müssen wir zuallererst unsere Sympathie und Bewunderung bekunden, weil sie nichts falsch gemacht hat. Sie musste große Kritik hinnehmen und sehr viel Persönliches offenlegen. Die Olympiasiegerin von 2012 und 2016 über die 800 m ist hyperandrogen und hat deshalb einen höheren Testosteronspiegel als "normale" Frauen. Das liegt daran, dass sie genetisch gesehen XY-Chromosomen hat, was typischerweise nur Männer haben. Frauen wie sie haben laut Urteil DSD ("a difference of sexual development") und müssen ab sofort Hormone einnehmen, um ihren natürlichen Testosteronspiegel unterhalb des Grenzwerts zu senken. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet hat sie aber ebenso einen genetischen Vorteil wie viele andere Spitzensportler. Der Unterschied liegt darin, dass wir unsere Wertungsklassen an genau diesem Marker festmachen. Beim Boxen wiederum wird auch das Gewicht unterschieden.

Semenya wurde bereits einmal dazu gezwungen, ihren Testosteronlevel künstlich zu reduzieren. Zwischen 2012 und 2015 verlangsamten sich ihre 800-m-Zeiten deshalb von 1:55 min auf 2:00-2:02 min, was mit Studien der 1980er Jahre übereinzustimmen scheint, die zeigten, dass künstliches Testosteron die Leistung über 800 m um fünf bis sieben Sekunden steigert. Festgehalten werden muss aber, dass der Testosteronwert nur herangezogen wird, um die Geschlechter zu unterscheiden. Die Leistung hängt von vielen Faktoren ab, nicht bloß vom Testosteronwert.

Wir wollen Fairness. Zum einen muss die Mehrheit geschützt werden, um einen fairen Wettkampf zu gewährleisten, gleichzeitig darf aber die Minderheit nicht diskriminiert werden. Eine Herkules-Aufgabe.

Weiterhin beschränkt sich das Urteil nur auf die Mittelstrecken, was nicht daran liegt, dass speziell Caster Semenya diskriminiert werden soll, sondern dass die CAS "Beweise" für einen Wettbewerbsvorteil gefordert hat. Während die IAAF die Regel für alle Strecken durchsetzen wollte, haben die Daten scheinbar die Vorteile auf die Mittelstrecken beschränkt. So ist es kurzfristig möglich, dass das Urteil "einfach" umgangen wird, indem die dreifache 800-Meter-Weltmeisterin wegen des Testosteronlimits auf eine längere Distanz wie 3.000 oder 5.000 m wechselt.

Diese Daten können aber gar nicht aussagekräftig sein. Verglichen wird, ob Frauen mit höheren Testosteronleveln besser abschneiden als solche mit niedrigen. Die Daten stammen aber von Weltklasseathleten, bei denen man leider davon ausgehen muss, dass einige (30-40 %?) gedopt waren, womit die Datengrundlage nicht aussagekräftig ist. Wenn nämlich eine Doperin Steroide benutzt, wird sie diese, um nicht positiv getestet zu werden, vor dem Wettkampf absetzen. Dadurch fallen ihre Testosteronwerte signifikant.

Man kann also gleichzeitig mit Semenya sowie den anderen betroffenen Athletinnen fühlen und dennoch einen Wettkampf wollen, der nach Geschlecht unterschieden wird. Wie gesagt, es gibt keine für alle faire Lösung. Zusätzlich ist es aber auch für die Ärzte unethisch, eine Behandlung zur Senkung des Testosterons zu verschreiben, wenn der Zustand nicht als krankhaft erkannt wurde. Die World Medical Association hat deshalb ihre Mitglieder dazu aufgefordert, die Vorschriften nicht umzusetzen. Die Gesundheit der Athleten muss Priorität haben.

Abschließend kann man noch die Frage stellen, ob Semenya überhaupt die dominierende Athletin ist? Klar, sie hat seit 2015 keinen 800-m-Lauf mehr verloren. Aber sie ist "nur" die viertschnellste 800-Meter-Läuferin aller Zeiten. Wer sich die Allzeit-Rekordliste anschaut, sieht überall nur höchst verdächtige Leistungen. Semenya könnte sogar die Inhaberin des sauberen Weltrekords sein…

Und nun? Nun muss der Dialog fortgesetzt werden, auf dass wir mit vielen schlauen Köpfen eine Lösung für eine unlösbare Aufgabe finden.

Beitrag von Markus Heidl
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