Es geht auch ohne den ganzen technischen Schnickschnack. Was den einen schneller macht, hilft beim anderen vielleicht gar nichts. Zudem wird viel falsch trainiert, höre ich aus kompetentem Mund, viel Schinderei ohne erkennbaren Erfolg, gerade bei den ambitionierten Freizeitsportlern. Eine ständige Kontrolle verschiedenster Parameter sei unabdingbar um das Training effektiv zu steuern. Nun kommt so ein junger Athlet und rennt alles über den Haufen, gibt einfach Gas. Da wird der Handel bald die Frage stellen, wie schnell wäre Wanders, setzte er ihren Schnickschnack ein.

Walter Wagner, 9.1.2019

Das Laufgefühl vs. die moderne Technik

von Markus Heidl

Julien Wanders - diesen Namen solltet ihr euch merken! Nachdem der junge Schweizer schon im letzten Winter mit schnellen Zeiten über 10 km (28'02) und den Halbmarathon (60'09) für Aufsehen gesorgt hat, lief die Bahnsaison für seine Verhältnisse enttäuschend. Nach der EM in Berlin nahm er sich eine kurze Auszeit und lief im Urlaub gar nicht, bevor er sich dann mit einem großen Knall im Straßenlaufzirkus zurückmeldete: 27'32 über 10 km in Durban (Südafrika). Europarekord! Schneller sogar (um ganze 12 Sekunden) als Sir Mo Farah!

Obwohl er Anfang Dezember wegen Krankheit erneut aussetzen musste folgte beim Silvesterlauf in Houilles (Frankreich), just dem Rennen, wo er sich vor Jahresfrist den Schweizer Rekord geholt hatte, die nächste persönliche Bestzeit: 27:25 min (Schnitt unter 2'45/km!) - die 21. schnellste je gelaufene Zeit über 10 Kilometer! Chapeau Monsieur! Mal sehen, wie es weitergeht.

Derweil fragen wir uns, ob man das wohl nachmachen kann?

Denn eine Ausrede bzgl. der Hautfarbe gibt es schon einmal nicht. Erst nach seinem Abitur ist der junge Schweizer bzw. Franzose (er hat beide Nationalitäten, startet international aber für die Schweiz), der im März 23 Jahre alt wird, nach Kenia gezogen. Sich dort physisch anzupassen bezeichnet er selbst als eine seiner größten Leistungen. Aber es ist mehr als nur das.

Es ist die Kombination aus einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst, keine Ausreden zu suchen, viel und hartes Training sowie dem vollen Fokus auf den Laufsport. Außerdem ist er geduldig: einen Marathon wird es vorerst nicht geben.

Hat er sich zu Beginn seiner Zeit in Kenia noch anderen Gruppen angeschlossen, schließen sich jetzt andere ihm an. Und meist ist bei harten Einheiten er es, der am Ende den anderen davonläuft. Wie zuletzt in Houilles. Dort war seine Renntaktik recht einfach: "My goal was to run at full gas," wie er im Ziel gesagt haben soll. "I didn't use a watch because it slows down the rhythm." (Ich wollte Vollgas laufen. Ich habe keine Uhr benutzt, weil die nur den Rhythmus verlangsamt.)

Recht hat er! Während sich bei uns die Diskussionen darum drehen, ob wir die Wattmessung (oder was auch immer dabei gemessen wird) beim Laufen brauchen, ist das Ziel doch ein ganz anderes: eine bestimmte Distanz in möglichst wenig Zeit zu überwinden. Dabei ist es egal, wie hoch die Wattwerte waren, dabei ist es egal, welche Geschwindigkeit die GPS-Daten nach 2,8 km liefern und dabei ist es auch egal, wie hoch der Puls war. Schlussendlich sind sogar die Kilometer-Zwischenzeiten von keinem Interesse, sondern lediglich die Zeit auf der Zieluhr.

Wozu also überhaupt eine Uhr mitnehmen? Bei Marathons und noch längeren Distanzen kann es natürlich gewollt sein, am Anfang zu bremsen. Aber was kann bei einem 10er schon schiefgehen? Eigentlich sagen uns die Zeiten auf der Uhr meist nur, dass wir schneller laufen sollten. Im Grundsatz gilt genau die Taktik von Julien: Vollgas laufen. Ob es jetzt die Uhr am Handgelenk oder andere äußere Signale sind, die einen daran erinnern, sich ganz darauf zu konzentrieren, Gas zu geben, macht keinen Unterschied. Das Körpergefühl sollte ausreichen, um genau an der Schwelle zu laufen, die man von der Anstrengung her bis ins Ziel durchhält, ohne am Ende abzubauen.

Wobei eine Uhr hingegen nützlich sein kann, ist die Motivation bei Rennen, bei denen es gut läuft. Dann kann die Uhr am Ende einen Push geben. Wenn sie beispielsweise bei km 9 eine Zeit von 36:02 min anzeigt, wird derjenige, der zum ersten Mal die 40 Minuten zu unterbieten versucht, noch einmal alles in die Waagschale werfen, was er bzw. sie hat, weil es höchstwahrscheinlich zur neuen Bestzeit reichen wird.

Vorher aber muss man nicht gucken, denn die Information, die auf dem Handgelenk steht, ist immer gleich: lauf schneller! Wenn du denn kannst.

Beitrag von Markus Heidl
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