Wann bin ich ein Läufer?

von Markus Heidl (veröffentlich am 7.4.2018)  

Es ist wieder Frühling. Zeit also, um wieder in Form zu kommen. Für die Bikinifigur natürlich längst zu spät, dennoch fällt es mit den wärmeren Temperaturen, längeren Tagesstunden, freundlicherem Wetter und den Frühlingsgefühlen leichter, laufen zu gehen. Die Sonne genießen und in Form kommen - gibt es eine bessere Kombination?

Nun kann man mit dem Laufen anfangen, feststellen, dass es anstrengend ist, und wieder aufhören. Oder eben dranbleiben, sich durchbeißen. Weitermachen, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat… und irgendwann ist man dann Läufer [Die weibliche Form ist selbstverständlich mit eingeschlossen, lediglich der Einfachheit halber wird nachfolgend nur die männliche Form gebraucht].

Wann darf man sich aber selbst als Läufer bezeichnen? Wann ist man kein Anfänger mehr, sondern gehört zu den Routiniers, für die es selbstverständlich ist, regelmäßig die Laufschuhe zu schnüren? Häufigkeit und Dauer, gar Geschwindigkeit machen als Kriterium keinen Sinn, vielmehr muss sich die Wahrnehmung verändern!

Denn Laufen verändert den Körper und damit unsere Wahrnehmung der Welt. Aus dem ständigen Überwinden von Widerständen in den ersten Wochen des Laufens kristallisieren sich nach und nach Momente heraus, die man ab und an genießen kann. Gleichzeitig versucht man sich als Anfänger zumeist vom eigenen Körper zu lösen: an andere Dinge zu denken als an die Anstrengung, den Schweiß und den ständigen Drang, endlich aufhören zu dürfen. Doch macht das Sinn: sich vom Körper lösen zu wollen? Den Körper laufen zu lassen, während der Geist möglichst weit weg ist?

Ein kurzer Exkurs in die Philosophie:

Laut Platon kann ein Ding nicht zwei entgegengesetzte Handlungen gleichzeitig tun. Sind Körper und Geist also getrennt, wenn die Physis läuft und die Psyche denkt? Diese Ansicht sei traditionelle Philosophie, hält Maurice Morleau-Ponty dagegen. Laut ihm ist der Körper kein Objekt, sondern vielmehr unser Ausdruck in der Welt.

Zusammenfasst den Gedanken J. Jeremy Wisnewski so: wir sind weder Körper noch Geist, wir sind verkörperter Geist. Laufen zu können ist keine Frage des Denkens, das Denken kann das Laufen sogar hemmen. So erlaubt es uns unser Körper nicht, zu laufen, sondern das Laufen erlaubt uns, zu denken. Denn Laufen und Denken sind nicht gegensätzlich: sie sind Ausdrucksformen unseres lebenden Körpers, der versucht, mit der Welt um sich herum zurechtzukommen und sie zu verstehen.

Für den Anfänger heißt es folglich, nicht zu versuchen, sich beim Laufen von seinem Körper (und der Anstrengung und den Schmerzen) lösen zu wollen, sondern durch das Laufen frei zu werden. Demzufolge ist man dann ein Läufer, wenn man die Freiheit erlangt hat, seine Gedanken über die Landschaft streifen zu lassen, durch die der Körper läuft - wenn Körper und Geist eins sind. Kommt dann noch Mühelosigkeit hinzu, spricht so mancher von einem "runner's high". Wer das geschafft hat, ist kein Anfänger mehr.

Und doch ist man in der Folge nicht für immer ein Läufer

Weiterhin ist man aber nicht dauerhaft ein Läufer. Laufen ist eher eine Fähigkeit, die man ausübt, als ein Zustand, den man erreicht. Einmal Marathoni, immer Marathoni - aber ein Läufer ist man nicht ein Leben lang. Nur solange wir frei sind, während wir laufen, erhalten wir unsere Fähigkeiten. Wer längerfristig aussetzt(/en muss), und damit diese Fähigkeit nach und nach aufgibt, ist kein Läufer mehr.

Unsere Fähigkeiten können sich sowohl verbessern wie auch verschlechtern. Und unser Verständnis der Dinge verändert sich mit unseren Fähigkeiten. So ist unser Bewusstsein nicht so sehr ein Ergebnis unseres Denkens als unseres Handelns. Zusammengefasst ist unser Körper kein Werkzeug, um zu laufen. Wer wirklich läuft, denkt nicht an seinen Körper, denn Körper und Geist sind nicht getrennt, sondern eins. Wenn wir mit der Umgebung verschmelzen und somit wirklich laufen - nicht unseren Körper nutzen, um zu laufen - dann sind wir Läufer. Während der Läufer läuft, versucht der Anfänger lediglich, zu laufen. Den Unterschied werdet ihr spüren. Also nichts wie raus!

Beitrag von Markus Heidl
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