Auf jeden Topf passt ein Deckel – und jeder Deckel passt auf irgendeinen Topf. Doch ein Fuß passt nie in jeden Schuh. Das Leben ist kompliziert. Jedenfalls, – immer einfach ist es nicht. Oft kann man es sich erleichtern, aber des Läufers Philosophie ist das meist nicht. Disziplin und Vernunft können zusammenpassen, wie der genannte Deckel auf den Topf. Sie können sich aber auch beißen. Was heißt das nun fürs Laufen? – Frei nach Berthold Brecht und bezogen aufs Allgemeine: 'Lieber mehr können als man macht.' Ich scheue unsinnige Zwänge. Und wie hält es Markus?

Walter Wagner,16. Januar 2018

Warum ich nicht streake

von Markus Heidl

Es ist Januar 2018 und die deutschen Läuferinnen und Läufer "streaken". Streak ist Englisch und kann mit Ader, Schliere, Faser oder Strich übersetzt werden. Gemeint ist aber wohl die Strähne. Wie in Glückssträhne.

Genau dazu ruft das Wort streak auf: jeden Tag zu laufen, mindestens eine Meile, also 1,609 km. Und gerade jetzt zum Jahresstart bietet sich ein solcher streak als guter Jahresvorsatz an. Podcasts und eine Laufzeitschrift haben den Vorschlag gemacht, einige haben sich angeschlossen. Und laufen seit dem ersten Januar Tag für Tag.

Das hat etwas Gutes. Ein Stück weit nimmt es einem die Entscheidung ab, wenn klar ist, dass jeden Tag gelaufen wird. Bleibt nur noch zu entscheiden, wann. Das ist einer der elementarsten Tipps für Laufanfänger. Routinen schaffen! Dann geht es im Zweifelsfall auch noch abends spät mit der Stirnlampe raus in die Dunkelheit. Ein klares und einfaches Ziel, es muss ja nicht viel sein!

Und wann hört das wieder auf? In gewisser Weise ist das Strähnenlaufen auch eine Abkehr von den klassischen Leitbildern. Es zählt nicht mehr die Platzierung oder die Zeit über bestimmte Distanzen, sondern schlicht die Anzahl der Tage, an denen am Stück gelaufen wurde. Somit lassen die meisten die Dauer ihrer Strähne unbestimmt. Warum mit etwas aufhören, was grundsätzlich guttut? Die längste bekannte Strähne wurde von Ron Hill aus England aufgestellt, der vom 21. Dezember 1964 bis zum 29. Januar 2017, insgesamt 52 Jahre und 39 Tage, am Stück gelaufen ist.

Ausgerufen wurde die "Challenge" aber nur für den Januar, was sicher die gesündere Variante ist. Denn ab und an macht eine Pause Sinn. "Am siebten Tage aber sollst du ruhen", heißt es schon in der Bibel (2. Mose 23,12). Ebenso lässt jede gute Diät Ausnahmen zu: wer einmal in der Woche einen Joker nimmt, ist immer noch dabei. Beim Streak hingegen nicht: wer aussetzt, muss bei null beginnen. Der mentale Vorteil, dass nicht darüber nachgedacht werden muss, ob gelaufen wird, darf nicht zum auslaugenden Nachteil werden. Es darf kein Zwang entstehen, erst recht nicht, wenn durch solche Vorsätze gar über kleinere Krankheiten hinweggelaufen wird.

Per Zufall war ich bis zum 9. Januar mit dabei. Bis dahin bin ich jeden Tag des neuen Jahres gelaufen. Am 10. aber, da lief ich nicht, da fuhr ich Rad. Meine Strähne gab ich auf. Ganz bewusst. Weil ich wusste, dass das Training am Donnerstag besser werden würde, wenn ich mir am Mittwoch eine Pause gönnte. So war es dann auch: Kopf und Beine waren frisch! Man muss auf seinen Körper hören.

Ein guter Grund für das Strähnenlaufen wären noch die Mitochondrien, unsere Kraftwerke in den Zellen. Die Daumenregel besagt, dass man, je öfter man trainiert, desto mehr Mitochondrien hat. Ein Grund, weshalb vermeintlich schwächere Läufer, die plötzlich im Trainingslager zwei Einheiten pro Tag absolvieren, aufblühen oder auch warum die Radprofis bei der Tour de France selbst an Ruhetagen kleine Ausfahrten machen. Es gibt nämlich Studien, die besagen, dass unsere Mitochondrien bereits nach 36 h ohne Sport beträchtlich zurückgehen.

Dennoch sollte man sich Ruhetage gönnen. Unsere Sehnen und Bänder, vor allem aber unser Kopf braucht ab und an eine Pause. Wer abends trainiert und am übernächsten Tag in der Frühe bleibt auch noch unter dem Grenzwert für die Mitochondrien. Und die ganz Unermüdlichen können ja alternativ trainieren. Die Pause wird dennoch guttun!

Beitrag von Markus Heidl
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