Marathon ist die Reifeprüfung im Laufsport. Und jetzt kommt sie auf, die Prüfungsangst. Wie machen das die Afrikaner, die leichtfüßig die Kilometer schlucken und den Mann mit dem Hammer gar nicht zu kennen scheinen? Was kann man von ihnen lernen? Habe ich was falsch gemacht? Ist harte Arbeit in Form von Kilometern alles? Machen es Geheimrezepte nur schlimmer? Markus Heidl kommt im Pro & Kontra zu dem Schluss: Also, lassen wir uns nicht verrückt machen!

Walter Wagner, 19. Oktober 2017

Keine Abkürzungen

im Marathon

von Markus Heidl

Der Herbst ist - wie das Frühjahr - Marathonzeit! Und was haben wir schon für tolle Rennen gesehen: Favoritensterben in Berlin, mit einem Herausforderer aus dem Nichts für Kipchoge, der es gar wagte, den großen Meister anzugreifen. Eine Spitzengruppe, die sich beim Kassel-Marathon verläuft und disqualifiziert werden muss. Ein schneller Beginn in Köln, der dennoch mit der EM-Quali endet. Ein Rekordversuch in Chicago ganz allein von vorne, der am Ende knapp scheitert, dafür ein spannendes Rennen bei den Männern, das nach 15 Jahren zum ersten Mal ein Amerikaner gewinnt. Fünf Mann unter 2h06 in der Hitze von Amsterdam, und, und, und…

Aber wie machen die das bloß, nach 40 km gar beschleunigen, Zwischenspurts einlegen und Duelle austragen? Dafür muss es doch einen Trick geben! Einen Trick, der vielleicht auch uns bei unserem großen Herbstmarathon helfen könnte? Denn Frankfurt, New York etc. kommen ja noch.

Denn die Unsicherheit und all die Fragen lassen nur die wenigsten von uns völlig kalt. Habe ich genug trainiert? Schaffe ich es überhaupt ins Ziel? Was esse ich vorher, soll ich unterwegs trinken? All die Ungewissheiten, die durch die vielen verschiedenen Tipps auch noch aufgebläht statt minimiert werden.

Da käme ein Geheimrezept doch gerade recht. Dann endlich wäre Sicherheit gegeben. Dann könnte man mit stolzgeschwellter Brust am Marathonmorgen in den Startblock marschieren, mit der Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben. Und mehr als das.

Was gibt es also, das die Profis anders machen als wir? Einen Trick, ein besonderer Kniff, eine geheime Speise oder dieses eine spezielle Training, das uns plötzlich schneller, ausdauernder, härter macht? Das Geheimrezept der Profis, das uns eine Abkürzung zu unseren Traumzeiten verschafft, spielerisch leicht?

Nun, es gibt ein Geheimnis, aber es ist ein offenes Geheimnis. Und spielerisch leicht ist es nicht: harte Arbeit. Das ist alles. Harte Arbeit in Form von Kilometern.

Arne hat es vorgemacht: sein (relativ) komplettes Trainingsprogramm, beispielsweise vor seinem deutschen Marathonrekord 2015 in Frankfurt, können wir einsehen. Sein Geheimnis ist harte Arbeit.

Vor dem Berlin-Marathon gab es ein weiteres Beispiel, vielleicht das Beispiel schlechthin. Kipchoge selbst veröffentlichte sein Training der letzten fünf Wochen. Und auch hier ist das einzige Geheimnis, das es zu entdecken gibt, die harte Arbeit. Denn das, was er macht, machen wir auch. Langsame Läufe, schnelle Läufe und lange Läufe.

Jetzt könnte man die Augen verdrehen. Diese Profis haben doch viel mehr Zeit als wir! Für das Training wie für die Regeneration. Es ist aber ein Fakt, der uns allen Mut machen sollte. Weil es keine Geheimnisse gibt, nur unser eigenes Herzblut.

Und die wirklichen Geheimrezepte machen es nur schlimmer. Eiweißpülverchen, Kompressionsstirnbänder, Iso-Getränke oder Schuhe mit 2,7 mm Sprengung. Vielleicht helfen sie ja doch? Eher nicht. Weil es neue Ideen sind, die zu testen es jetzt, so kurz vor dem wichtigen Rennen, zu spät ist.

Also lassen wir uns nicht verrückt machen! Lasst uns den Marathon vernünftig angehen, mit Mut, aber nicht mit Übermut. Und lasst uns dann auf den letzten Kilometern unseres Herbstmarathons ein Lächeln auspacken und rennen wie Kipchoge. Bis ins Ziel eines gelungenen Marathonrennens.

Beitrag von Markus Heidl
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