Letzten Endes war ich erstaunt, zum einen über die Beachtung des Projects, zum anderen über die kritische Bewertung, ja Ablehnung. Dennoch scheint die Investition nicht in den Sand gesetzt. Es wird kaum eine Marathonreportage geben, in der nicht die schnellste Marathonzeit zum Thema wird. Dass diese nicht regelkonform erbracht wurde ist nur was für Spezialisten. Ich erinnere daran, erst als Irina Mikitenko noch schneller lief, war das Zeitalter der Uta Pippig als vermeintlich schnellste deutsche Marathonläuferin beendet. 14 Jahre feierten die Medien Pippig als schnellste Deutsche. Dass ihre Leistung beim Boston Marathon erbracht und somit nicht bestenlistenfähig war, interessierte kaum. - Eliud Kipchoges 2:00:25 h sind Fakt. Und das Nike so schnelle Schuhe produziert, dass damit Weltklasseleistungen erzielt werden, selbst wenn sie nicht perfekt passen und die Innensohlen beim Laufen herauswandern, ist eine Tatsache. Welcher Konkurrent kann dies von seinen Produkten behaupten?

Walter Wagner, 11. Mai 2017

Ein Sieg der Wissenschaft?

von Markus Heidl

Ja, das Thema wurde bereits behandelt. Man kann es kritisieren, wie ich es bereits im Pro und Kontra tat, oder auch darüber lachen, wie es beispielsweise Herbert Steffny für LaufReport getan hat: Ein Versuch, die Marathondistanz unter zwei Stunden zu laufen, der knapper ausging, als wohl die allermeisten erwartet hatten. Am Jahrestag von Roger Bannisters erster Meile unter vier Minuten wurde die Werbetrommel kräftig gerührt. Meine Zweifel bestehen weiterhin, das "leidige" Thema Doping wurde einfach außen vor gelassen. In dieser Hinsicht hat sich Nike noch nie mit Ruhm bekleckert, zuletzt mit Ignoranz in diesem wie ebenso beispielsweise beim Oregon Project gar Akzente in die falsche Richtung gesetzt. Das sei an dieser Stelle ein weiteres Mal hervorgehoben!

Ich möchte in diesem Beitrag aber einen weiteren Aspekt des breaking2-Projekts beleuchten: den der Wissenschaft.

Denn insbesondere dafür, so mein persönlicher Eindruck, wurde das Projekt "gehyped": dass die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse gebündelt wurden, um die perfekten Bedingungen zu schaffen. Die Wissenschaft ist ein gutes Zugpferd in der Werbung, auch wenn Paper nur oberflächlich gelesen, einige Aussagen aus Zeitungsartikeln herausgepickt und für bare Münze genommen werden. Die so hochgelobten wissenschaftlichen Erkenntnisse des Projekts waren zum Großteil nämlich trivial: dass ein gleichmäßiges Lauftempo wichtig ist, weiß jeder, auch dass sich die V-Form der Tempomacher am besten eignet, um Windschatten zu bieten, war keine Überraschung. Eher schon die Ernährungsstrategie, die deutlich weg vom aufkommenden "train low"-Ansatz ging.

Der Gipfel aber war, dass Kipchoges Tapering angepasst wurde. Um zwei Tage! Das also bewirken die neuesten Erkenntnisse, dass bereits perfekt Funktionierendes noch verbessert werden soll? Denn wenn man bei etwas sicher sein konnte, dann dabei, dass Patrick Sang seinen Athleten immer auf den Punkt fit gemacht hat. Eine eindrucksvollere Serie als die des Eluid Kipchoge gibt es nicht, der bei allen seinen Marathons top-Ergebnisse liefern konnte. Wenn man so will, waren 2h04'05 und Platz zwei in Berlin eine Enttäuschung!

Da hätte die Wissenschaft eher den anderen beiden helfen müssen. Denn wenn Wissenschaft für etwas steht, dann für reproduzierbare Ergebnisse! Wären Tadese und Desisa also hinter Kipchoges 2h00'25 2h01 und 2h02 gelaufen, man hätte vom "Unsicherheitsfaktor Mensch" sprechen können. So aber, nach 2h06 und 2h14, kann wohl kaum davon gesprochen werden, dass wissenschaftliche Erkenntnisse mit Erfolg angewandt worden seien.

Denn wer behauptet, die anderen beiden seien nur Statisten gewesen, tut ihnen Unrecht. Tadese hat geradezu legendäre VO2max- und Laufökonomiewerte, hält außerdem den Halbmarathonweltrekord. Bisher wurde sein vergleichsweise unterirdisches Abschneiden bei Marathons auf Ernährungsfehler geschoben, die es offensichtlich nicht ausschließlich gewesen sein können. Und auch Desisa hat sich aus einem Pool von 60 Athleten durchgesetzt. Laut den Testwerten traten die drei Besten an.

Und genau hier liegt das Problem, das wir uns eingestehen müssen: über das, was für wirkliche Topleistungen entscheidend ist, wissen wir nichts. Wir können die Leistung nicht mittels noch so aufwendig erhobener Werte vorhersagen, ebenso wenig verstehen wir den Vorgang der Ermüdung. Wenn die Sportwissenschaft in dieser Hinsicht etwas aus dem Projekt lernen kann, war es ein Erfolg. Kommt im Endeffekt nur der angekurbelte Schuhverkauf heraus, war es eine Enttäuschung.

Denn wenn beispielsweise die Schuhe eine Hilfe für Kipchoge gewesen sein sollen, waren sie dann ein Hindernis für Desisa? Wenn es zum Positiven geholfen haben soll, muss auch das Gegenteil festgehalten werden. Es gab in diesen Schuhen durchaus herausragende Resultate, wie beispielsweise von Jordan Hasay in Boston, aber glaubt wirklich jemand, ohne die Treter wäre Galen Rupp langsamer gewesen? Wissenschaft ist wichtig, sie sollte aber nicht dafür herangezogen werden, uns selbst für Erfolge auf die Schulter zu klopfen, sondern zu verstehen helfen, warum Tadese und Desisa "versagt" haben.

Natürlich konnten wir einen Meister seines Fachs in Perfektion erleben. Kipchoges Leistung war unglaublich, ich will diese keinesfalls schmälern! Auch ich war begeistert, jedoch nicht von Nike, sondern von Kipchoge selbst. Was für ein Typ, was für ein Läufer! Er hat es sogar fertiggebracht, auf der letzten Runde noch zu lächeln! Es war ein Meilenstein, der unser Denken verschoben hat. Es gibt wenige, die daran zweifeln, dass Kipchoge einen neuen Weltrekord erreichen wird, sollte er im Herbst in Berlin starten. Aber 30 Millionen Dollar zu investieren, um dann in den ersten Runden nicht einmal in den Kurven innen zu laufen? Für solche Tipps brauche ich keine Wissenschaft!

Beitrag von Markus Heidl

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