Wettlauf mit der Eisenbahn.

Knut Kniepings skurrile Laufabenteuer - Teil 2

Zwischen seinem ersten Buch "Temporausch", das 2014 erschien (Besprechung in LaufReport hier), und der sehr schnell vorgelegten Fortsetzung "Tempo raus" liegt im Titel nur ein Unterschied von zwei Buchstaben, jedoch änderte sich für den Laufhelden und Ich-Erzähler Knut Knieping binnen weniger Monate eine komplette Läuferwelt. Beschrieb er im Debütband noch, wie er sich mittels Intervalltraining, Fahrtspiel und Wettkampf in endorphingeschwängerte Laufräusche katapultierte, deren letzter im Sauerstoffzelt endete, ist sein Credo für den Folgeband: "Langsam reicht mir", wie der Untertitel wissen lässt.

Dieser kleine, große Unterschied hält auch das zum ersten Band nahezu identisch gestaltete Coverbild nur im feinen Detail fest. Statt des bissigen Schwans, der dem eiligen Läufer vor der Düsseldorfer Rheinkulisse nach den Waden trachtet, wurde ein Verkehrsschild mit der Aufschrift "SLOW" installiert. Und über dem Titel prangt nun eine "3:30:00" als Zielzeit für den Marathon, statt "2:48:38", der Bestzeit des Autors über die Königsdistanz. Dabei ist die Zäsur in der Biographie des Laufsüchtigen keinesfalls freiwillig. Nur das Desaster bei seinem letzten Marathon, als er kollabierte und von behandelnden Ärzten seiner Ehefrau Cecile "ausgehändigt" wurde, zwingt ihn, fürderhin in den Wohlfühlmodus umzuschalten. Gegen das Machtwort seiner besorgten besseren Hälfte hilft kein noch so raffiniert vorgetragenes Rhetorikfeuerwerk des praktizierenden Rechtsanwalts. Er schwört gegenüber seinem "doppelten Hausvorstand", bestehend aus Cecile und Tochter Fine, auf immer und ewig seinen Temporäuschen ab und verspricht für die Zukunft, es ausschließlich beim beinahe täglich lockeren Joggen zu belassen. Die Mutation vom ambitionierten Wettkampf- zum genießenden Freizeitläufer ist quasi Endpunkt des ersten und Ausgangspunkt des zweiten Buches von Knut Knieping.

Abstrus und hochkomisch geht es auch bei den zehn neuen Laufabenteuern zu, in die der Autor meist ungeplant gerät, vielleicht sogar in einer noch flotteren Schreibe verfasst und mit noch größerem wortschöpferischen Potential ausgestattet als vordem. Als er einmal auf seine Tochter aufpassen soll, weil Cecile eine Freundin treffen will, gerät die Statik seines Tagesablaufs mächtig ins Wanken. Denn ohne die tägliche Laufeinheit geht bei dem Laufjunkie nichts. Also wird er erfinderisch und gibt sich im hauseigenen Keller den nötigen Schuss, in dem er viele hundert Male um Waschmaschine und aufgestellten Wäscheständer joggt, bis die zehn Kilometer voll sind und Cecile samt Tochter entgeistert in der Kellertüre stehen.

Während einer Reise in Namibia vollzieht er seine Laufeinheit in einem nur 15 Meter langen aber mit Wasser bis zur Hüfte gefüllten Swimmingpool, weil ein Joggen im Outback wegen giftiger Schlangen und diverser Großkatzen zu gefährlich ist. Auf Island verschafft er sich unerlaubterweise Zutritt zum Nationalstadion, weil es draußen so sehr stürmt, ohne zu bedenken, wie er später wieder herauskommen könnte. Schließlich ist die Sportarena "besser gesichert als Ford Knox". In anderen Fällen verlocken ihn eine hübsche Läuferin, die ihn leichtfüßig überholt, beziehungsweise ein langsam nebenherfahrender Güterzug zu unüberlegter Tempoverschärfung. Hier und überall sonst kommt es im Buch zu absurden Geschehnissen und slapstickartigen Situationen, in denen sich der Held allzu oft dem freundlichen Spott der Kollegen oder den verwunderten Blicken der Leute ausgesetzt sieht.

Eine Gefahr für "Gesundheitsläufer" Knieping ist, dass die Endorphine ihre Wirkung zuweilen auch bei langsamem Laufen entfalten und sein Hirn in euphorische Stimmung versetzen, sprich: er sich in Situationen imaginiert, in denen er die schnellsten Kenianer überholt und jede Meisterschaft gewinnt. Die Realität bricht aber immer brutal in diese Glückseligkeit ein, holt den Akteur auf den Boden der Tatsachen zurück, mal in Form des um Fassung ringenden Seniorchefs, mal in Form einer frisch angemischten Betonmasse, in die Knieping mit beiden Füßen köcheltief versinkt, ohne auch nur die kleinste Chance zu haben, seine "Arbeitsgeräte" bar fremder Hilfe wieder herauszubekommen.

"Tempo raus" ist wie sein Vorgänger kein Roman, sondern eine episodenartig angelegte Sammlung von lose verbundenen, selbstironisch vorgetragenen Geschichten. Eine kurzweilige Lektüre, die keinesfalls nur für Läufer geeignet ist, und die am Ende noch überraschende Wendungen zu bieten hat.

Autor Knieping, ein Düsseldorfer, der in Wirklichkeit ganz anders heißt und unlängst beim Düsseldorfer Marathon den "Brems"-Läufer für 3:30 h gab. Langsam, wie er sagt, reicht ihm eben ...

Gelesen und besprochen von Michael Schardt

Knut Knieping: Tempo raus - Langsam reicht mir. Betzenstein: Sportwelt Verlag 2015, Taschenbuch, 154 Seiten, 10,95 Euro, E-Book: 6,99 €, ISBN 978-3-941297-31-9

Die immer lächelnde "Queen des Triathlon"

Natascha Badmann erzählt ihr Leben

 

Natascha Badmann, das war doch die immer lächelnde Triathletin aus der Schweiz, die scheinbar locker und ohne Anstrengung reihenweise Ironman- und Duathlon-Wettbewerbe gewonnen hatte? Was ist aus ihr geworden?

2007 fühlt sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: Fit und bestens trainiert geht sie als Favoritin beim Ironman in Hawaii an den Start. Das Radfahren läuft für sie wie immer bestens - da findet sie sich plötzlich auf dem Asphalt wieder. Sie weiß bis heute nicht, was zu ihrem schweren Sturz vor sieben Jahren geführt hat. Tatsache ist, dass sie das Rennen aufgeben musste und dass die Diagnose der Ärzte niederschmetternd war:

Mit diesen zahllosen schweren Verletzungen in der Schulter wird sie nie mehr schwimmen, geschweige denn Triathlonsport betreiben können.

Doch Natascha Badmann kämpfte sich zurück. Es dauerte zwei Jahre, bis sie wieder gut schwimmen konnte. Im Frühjahr 2014 folgte dann ein weiterer Schlag, als sie von einem Auto angefahren wurde. Doch auch hier baute sie sich wieder auf. Die heute 48-jährige (!) Sportlerin nimmt weiterhin als Profi an Triathlon-Rennen teil. Und erreicht immer noch sehr gute Ironman-Platzierungen.

Das Besondere an Natascha Badmann ist ihre spürbar echte Freude am Leistungssport - und dies kann man in ihrer Biografie "9 Stunden zum Ruhm" nachlesen. Die Lektüre offenbart Unglaubliches. Was für eine Kindheit: übergewichtig, depressiv und vom Stiefvater missbraucht. Keine Lust auf Sport, kein Ehrgeiz. Nur beim Reiten fühlte sie sich wohl, weil sie zu den Tieren eine enge Beziehung aufbauen konnte. Dann stürzte sie sich in die Beziehung zu einem Mann - und war nicht einmal 17, als ihre uneheliche Tochter zur Welt kam…

Als sie Jahre später den Trainer Toni Hasler kontaktierte, weil sie durch Sport abnehmen wollte, bekam ihr Leben die entscheidende Wendung. Durch ihn (der dann auch ihr Lebenspartner wurde) entdeckte sie ihre wahren Stärken.

Mehr wird nicht verraten.

Lesen!

Gelesen und besprochen von Birgit Schillinger

Natascha Badmann: 9 Stunden zum Ruhm. Die Queen des Triathlon.
Delius Klasing Verlag, 2014. Broschiert; 192 Seiten. 22,90 Euro
ISBN-13: 978-3768839044

Etwas für die guten Vorsätze? Motiviere dich selbst!

 

Niemand kann dich motivieren - nur du selbst. Die Selbstmotivierung ist ein wichtiger Baustein für den sportlichen Erfolg. Vielleicht der wichtigste? Neben Talent und Trainingsfleiß entscheidet oft die Psyche, wie der Wettkampf ausgeht. Wer den Ratgeber "Selbstmotivierung für Sportler" liest und nach Anleitungen sucht, wird hier fündig. Ein größeres Autorenteam hat viele Ideen gesammelt, wie man die Bereitschaft, sich für seinen Erfolg einzusetzen, systematisch aufbauen kann.

Natürlich sind die Tipps nicht neu, aber sie bieten in dieser kompakten Form eine ganze Palette von Motivierungstechniken.

Man kann sich hier das Geeignete heraussuchen. Beispielsweise in dem Kapitel Zielsetzung: Ziele geben eine hilfreiche Orientierung, wenn sie SMART sind. SMART steht hier für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Nur Ziele mit diesen Eigenschaften können mich motivieren und zum Erfolg führen.

Die Grenzen von Selbstmotivierung und mentalem Training sind fließend, so widmen sich einige Kapitel der Psyche und ihrer Beeinflussbarkeit. Andere Kapitel beschreiben, wie man Körperhaltung und -sprache oder die Aggression als motivierende Energiequelle nutzen kann.

Die Autoren sind Psychologen, Studenten, Doktoranden (aus dem Umfeld der Universität Koblenz-Landau). Jeder Aspekt der Selbstmotivierung wird von einem anderen Autor vorgestellt.

Das Layout (Fotos, Veranschaulichungen, Schriftbild) könnte peppiger sein. Inhaltlich bietet das Buch jedoch viele Anregungen.

Gelesen und besprochen von Birgit Schillinger

Martin Sauerland u.a.: Selbstmotivierung für Sportler. Motivationstechniken zur Leistungssteigerung im Sport. 184 Seiten. Spitta Verlag 2013. Broschiert 24,80 Euro.
ISBN: 978-3-943996-16-6

Was ein Läufer wissen muß

 

Die 88 Dinge sind die 77 Dinge plus 11. Kleiner Scherz. Besprochen wird hier der aktualisierte und erweiterte Band „77 Dinge, die ein Läufer wissen muß“. Inzwischen sind es also 88 Dinge. Über den ursprünglichen Titel hat der Markt bereits geurteilt – er hat sich hervorragend verkauft. Die elf zusätzlichen Fakten, mit denen allerlei Mythen in der Laufszene entzaubert und richtiggestellt werden, können ein Buch nicht schlechter machen.

Auch wer skeptisch gegen solche Selbstprofilierungen wie die von Dr. Matthias Marquardt ist, – der Mediziner hat in der therapeutischen Praxis wie in seinen Büchern hohe Kompetenz bewiesen.

Die Erwartungen, die wir vor Jahrzehnten gehabt haben und auch Ernst van Aaken schon mangels klinischen Materials nicht abdecken konnte, werden nun – dank fortgeschrittener wissenschaftlicher Erkenntnis und unendlich breiten Erfahrungen – von lauf-aktiven Laufmedizinern wie Marquardt erfüllt.

Lassen wir ihn selbst sprechen: „Die nunmehr 88 Dinge, die ein Läufer wissen muss sind weiterhin ein Spiegelbild meiner täglichen Arbeit mit Läufern – auf Seminaren und in meiner Praxis. Ich selber habe den Lauf- und Triathlonsport in allen seinen Facetten kennengelernt: Vom vielleicht etwas verbissenen Leistungssportler, der jeden Ernährungstipp ausprobierte, jeden noch so leichteren Laufschuh sofort haben musste und vor dem Rennen fast unterging vor Nervosität, bin ich später zum Freizeitsportler geworden, der Familie und Beruf mit einem zwar freizeitsportlichen, doch immer noch täglichen Training unter einen Hut bekommen möchte.“ Sympathisch berührt seine Nonchalence. Er ist kein „Schneller-werden“-Missionar, sondern er will primär Läufern helfen, ihr individuelles, selbstgewähltes Ziel verletzungsfrei zu erreichen. Die von ihm zitierte Läuferin, die trotz Training die 10 Kilometer eben nur in 80 Minuten zurücklegen kann, bewegt er dazu, sich einfach zufrieden zu geben. Die Talente sind unterschiedlich verteilt. Der Laufsport hat Facetten genug.

Das Buch ist keine Darstellung des Laufsports oder Trainingsanleitung, sondern enthält prägnante Aussagen wie „Heldengeschichten über Marathons mit gebrochenem Bein sind Blödsinn“. Gebündelt werden sie unter den Schlagworten: Über „echte“ Läufer, Trainingsstart, Lauftechnik, Training, Laufschuhe und Einlagen, Ernährung, Marathon, Gesundheit. Ein Register erleichtert den Gebrauch.

Über jedes Faktum – in einer Szene, in der „Runningdocs“ über „Equipment“ und „Finish“ plaudern, muß man sich wohl auch an „Facts“ gewöhnen – läßt sich Dr. Marquardt sehr konzentriert aus. Die feine Ironie, mit der er das tut und damit weitschweifige Kommentare ersetzt, hat mir sehr gefallen.

Auf diese Weise spricht er sowohl Laufeinsteiger wie auch alte Hasen an. Den alten Streit zwischen Vorfußläufern und Abrollern löst er darin auf, daß er empfiehlt, den Fuß flach aufzusetzen. Ob er dies auch auf den Ultralauf angewendet wissen will, bleibt offen. Sicher, mit den Ernährungsratschlägen tue ich mich schwer. Aber ich sehe ein, daß in einem solchen Buch konventionelle, nämlich als gesichert geltende Erkenntnis gefragt ist.

Ein nützliches und zugleich unterhaltsames Buch aus der Hand eines kompetenten Autors.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Dr. med. Matthias Marquardt: 88 Dinge, die ein Läufer wissen muss. Typische Irrtümer und neueste Erkenntnisse. Südwest, 190 S., engl. Broschur, ill. 14,99 € (D). ISBN 978-3-517-09251-5

Lauftherapie mit Kindern und Jugendlichen

 

Ein Fachbuch, das sich mit Sicherheit bereits jetzt einordnen läßt: Es dürfte, zurückhaltend ausgedrückt, auf lange Zeit das Standardwerk auf seinem Gebiet sein. Wobei derjenige, der das behauptet, bekennen muß, daß er nicht zu den wenigen gehört, die dieses Buch fachlich tatsächlich beurteilen können. Wolfgang E. Schüler ist ein ausgewiesener Spezialist der Lauftherapie mit Kindern und Jugendlichen. Im Juni 1991, so lesen wir in seiner Vita, legte er die erste Forschungsarbeit im deutschsprachigen Raum vor, die sich mit der Erziehungsrelevanz des Dauerlaufs bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt. 1996 begründete er erstmals ein Konzept zur Lauftherapie mit Heranwachsenden.

Und Erfahrung mit dem Laufen? Im Alter von 56 Jahren seit 47 Jahren zu laufen, nämlich seit dem neunten Lebensjahr, das muß ihm erst einer nachmachen. Seit dem Jahr 1995 ist er, nach der eigenen Ausbildung zum Lauftherapeuten, neben seiner Berufsarbeit Dozent am Deutschen Lauftherapiezentrum in Bad Lippspringe.Über sein neues Buch hätte sich Dr. Ernst van Aaken, der Pionier des Dauerlaufs nach dem zweiten Weltkrieg und ein Befürworter des Dauerlaufs von Kindern und Jugendlichen, riesig gefreut. Ein zweiter, wissenschaftlicher Experte dieses Gebiets, Dr. Karl Lennartz, hat das Erscheinen des Buches ebenfalls nicht mehr erlebt. Dagegen konnte sich der Autor mit Dr. med. Thaddeus Kostrubala, dem Begründer der amerikanischen Lauftherapie, austauschen. Der Psychiater Kostrubala war bereits 1976 bei dem großen Marathon-Kongreß der New York Academy of Sciences aufgetreten. Er hat nun zu Schülers Werk ein Vorwort beigesteuert, in dem er auf seine Initiative im Jahr 1975, ein Programm des Gehens, Joggens und Laufens für eine ganze Schule in San Diego, Bezug nimmt. Ein Kernsatz seines Vorworts: "Dieses Buch beschäftigt sich mit einer der wichtigsten Aufgaben unserer Beine und zwar, wie wir sie als mächtiges Werkzeug einsetzen können, um unseren Kindern zu helfen."

Als weiterer Gastautor stellt der Immunbiologe und langjährige Läufer Prof. Dr. med. Gerhard Uhlenbruck medizinische Aspekte der Lauftherapie dar - ein weiterer Hinweis auf den Rang dieses Werkes.

Die "Wegweisung" des Autors läßt bereits erkennen, daß er nicht nur um Vermittlung des Stoffes, sondern auch um einen didaktischen Aufbau bemüht ist. Das erleichtert auch denjenigen, die keine pädagogische Erfahrung haben, den Einstieg. Schüler beantwortet zunächst drei simple Fragen: Was soll das bringen? Ist das überhaupt kindgerecht? Überfordert man die Kinder nicht? Sein Fazit: "Dauerlaufen als Therapie für Kinder und Jugendliche ist keine abstrakte Vorstellung mehr. Vielmehr erweist es sich bei näherer Betrachtung als ein probates Mittel der Entwicklungsförderung, einsetzbar zur Behandlung von psychosozialen Beeinträchtigungen und Störungen. Dabei scheint Lauftherapie am wirksamsten dort zu sein, wo sie andere erzieherische und/oder therapeutische Maßnahmen und Hilfen begleiten und unterstützen kann."

Schüler schildert, wie er selbst zum Lauftherapeuten von Kindern und Jugendlichen geworden ist. Sein Weg kennzeichnet die Entwicklung der Lauftherapie. Als er begann, fand er zwar hilfreiche Argumente bei Dr. Ernst van Aaken, bei Dr. Karl Lennartz und Dr. Jürgen Buschmann, aber noch keine sozialpädagogische Absicherung. Darin, sie geschaffen zu haben, besteht der Beitrag des Autors zur Laufgeschichte. "Das Thema ist ausbildungsfähig geworden", konstatiert er; in 20 Jahren sind am Deutschen Lauftherapiezentrum 12 Prozent der über 400 Abschlußarbeiten zum Themenbereich Kinder und Jugendliche geschrieben worden.

Auch wenn es an dieser Stelle etwas spröde wirkt, macht sich Schüler an eine grundlegende thematische und begriffliche Klärung und beleuchtet die Entwicklung des Dauerlaufs im Kindes- und Jugendalter sowie die physischen Voraussetzungen. Obwohl Kinder keine nennenswerte Sauerstoffschuld eingehen können, werden im Schulsport häufig anaerobe Strecken zwischen 600 und 1000 Metern angeboten. Dagegen ist die Laufausdauer im Kindesalter schon vorhanden und nimmt sogar ohne Training zu. Psychologisch sind dagegen im Training Grenzen gesetzt. "Unter Beachtung der allgemeinen und individuellen Entwicklungsvoraussetzungen (Potenziale und Grenzen) können Vorschulkinder lohnend an das langsame Laufen herangeführt werden", lautet Schülers Fazit. Ich erinnere mich, daß der Altersläufer Walter Stille Probleme mit den Eltern und einem Jugendleiter bekam, als er im Kindergarten Fünfjährige zum Laufen motivierte (In einem drastischen Leserbrief in "Condition" 6/82: "Die Dummheit siegte. Aber meine Erfahrung, wie einfach man die Ausdauer der Kinder nützen kann, ist mir nicht zu nehmen").

In einem geschichtlichen Kapitel geht der Autor auf Johann C. F. GutsMuths ein, der am Philantropikum zu Schnepfenthal und in seiner "Gymnastik für die Jugend" (1793) dem Langstreckenlauf eine hohe Bedeutung zuwies. In der modernen Laufbewegung hätten insbesondere Amerikaner die Entwicklung von Praxis und Theorie gefördert. Die vom Deutschen Lauftherapiezentrum und von der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (Bartmann) angebotenen Ausbildungen zum Lauftherapeuten hätten maßgeblich dazu beigetragen, daß die Zahl der Praxisangebote auch für (verhaltensauffällige) Kinder und Jugendliche deutlich zugenommen habe. Der Stand der Forschung sei allerdings alles andere als zufriedenstellend.

In einem bemerkenswerten Literatur-Überblick stellt Schüler dann 52 deutsch- und englischsprachige Arbeiten vor, die sich mit den psychosozialen Wirkungen des Laufens auf Kinder und Jugendliche beschäftigen. Auch darin wird die Absicht deutlich, den Lesern ein umfassendes Kompendium zu bieten, zumal da manche einschlägige Arbeiten, auch von Schüler, schon nicht mehr greifbar sind. Drei Projekte werden ausführlich dargestellt, die sehr geeignet sind, sich auch als Außenstehender in die Praxis der Lauftherapie einzulesen.

Erst im achten Kapitel folgt die konkrete Handlungsanleitung. Hier vor allem zeigt sich, welchen Erfahrungsschatz Schüler in den knapp 30 Jahren seiner lauftherapeutischen Tätigkeit erworben hat. Das Ziel ist klar: Erlebnismöglichkeiten bieten! Hier (wie auch in anderen Kapiteln) sind Literaturhinweise eingeklinkt. Schüler entwirft dann ein Konzept für die Lauftherapie bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen und geht auf Probleme ein, die Praktiker bewegen.

Ein kluges Fachbuch für Lauftherapeuten - auf jeden Fall. Doch auch wer sich beruflich nicht damit zu befassen hat, bekommt den Blick geweitet. Das können Lehrer und Erzieher sein oder auch Lauftreffleiter. Optimal wäre es, wenn auch Eltern sich mit der Frage auseinandersetzten, wie man mit Kindern läuft. Dieses Buch motiviert dazu.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Wolfgang W. Schüler: Lauftherapie mit Kindern und Jugendlichen. Psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit durch ausdauerndes Laufen. Der Ausbildungs- und Praxisbegleiter. Edition Sport & Freizeit, Band 18, herausgegeben von Prof. Dr. Walter Tokarski, Deutsche Sporthochschule Köln. Meyer & Meyer Verlag, Aachen, 2014. Softcover, 430 S., 24,95 €. ISBN 978-3-89899-844-4

Eat & Run auf Deutsch

 

Diesen einprägsamen Buchtitel muß man ebensowenig übersetzen wie born to run. Er eignet sich dazu, zum geflügelten Wort zu werden und damit auch gleich seinen Verfasser, Scott Jurek, zu assoziieren. Abgesehen von dem attraktiven Titel, - "Eat & Run" ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es ist zunächst einmal die Lebensgeschichte eines der stärksten Ultramarathonläufer der jüngeren Vergangenheit. Dreimal in Folge hat er den Spartathlon gewonnen, beim drittenmal - im Jahr 2008 - in 22:20 Stunden, der besten Zeit nach Yiannis Kouros. Jureks Biographie enthält immer wieder Hinweise auf sein Training, ja, geradezu eine Trainingsphilosophie. Deren wichtigstes Axiom heißt: Niemals aufhören, Fragen zu stellen. Das bedeutet, "Eat & Run" sollte zur Pflichtlektüre engagierter Ultraläufer gehören. Wo sonst liest man eine solche Definition:

"Und trotzdem entwickeln zahlreiche Ultraläufer tiefe Zuneigung zu anderen Ultrasportlern, sogar zu ihren ärgsten Konkurrenten. Vermutlich liegt es daran, dass wir für das Gleiche brennen: Wir lieben die Übung in Selbstaufopferung und die Suche nach Transzendenz, die zu diesem Sport gehören. Wir alle streben nach der Zone körperlicher Höchstleistung, in der man glaubt, man könne nicht mehr weiter - um dann doch weiterzulaufen. Und wir alle kennen diesen Moment. Wir wissen, wie er sich anfühlt, wie selten man ihn erlebt und welche Qualen und Anstrengungen man auf sich nehmen muß, um immer wieder an diesen Punkt zu gelangen. Je länger ein Ultraläufer dabei ist, um so mehr liebt er die Sportart, aber um so mehr liebt er auch andere Menschen - und nicht nur andere Läufer, sondern alle. Wir alle mühen uns doch permanent ab, um den Sinn in einer Welt zu finden, die uns nur zu oft Verletzungen zufügt. Ultraläufer tun das nur in besonders konzentrierter Form."

Obwohl Jurek einer Familie entstammt, die sich wie die Mehrzahl in Industriegesellschaften von der üblichen Zivilisationskost ernährte, und auch er selbst sich keinerlei Gedanken über fast food gemacht hatte, hat er zu vegetarischer und schließlich veganer Ernährung gefunden. Er hat damit Vorbehalte von Wissenschaftlern und Trainern, die ein hohes Ultraleistungsniveau für unverträglich mit veganer Ernährung gehalten hatten, anschaulich widerlegt. Scott Jurek blieb nicht bei theoretischen Einsichten stehen, sondern begann mit der Vielfalt pflanzlicher Erzeugnisse zu experimentieren, dabei immer auch die ernährungsphysiologischen Anforderungen eines Hochleistungssportlers im Blick. Einen Einblick in seine Ernährung geben die Rezepte, die - ebenso wie einige Stichwort-Erklärungen - jedem der 21 Buchkapitel angefügt sind. Sie sind so interessant, daß sie vielleicht auch manche der sich herkömmlich Ernährenden neugierig machen. Sportlich interessierte Veganer könnten also eine weitere Zielgruppe des Buches sein.

 

Scott Jurek hat es nicht einfach gehabt. Seine Mutter erkrankte früh schon an Multipler Sklerose, so daß er im Haushalt stark gefordert war. Sein Vater warf ihn schließlich aus dem Haus, als sich Scott schließlich dessen autoritärem Umgangsstil widersetzte. Dennoch erzählt er seine Lebensgeschichte ohne Bitterkeit. Die Begegnungen mit den Menschen, die ihn beeinflußt haben, sind lebendig geschildert. Vermutlich wird darin die Handschrift seines Schreibpartners Steve Friedman sichtbar. Stellenweise liest sich das Buch wie ein Roman. Nicht nur, daß man die Biographie allen Läufern, auch solchen, die mit Wettbewerben wie dem Ultramarathon nicht das mindeste im Sinn haben, an die Hand geben könnte, - ich bin davon überzeugt, daß es für jeden, der ein Gespür für außergewöhnliche Lebensläufe hat, ob Läufer oder nicht, eine fesselnde Lektüre bietet.

Scott Jurek, Porträt von seiner Website
Photo: www.scottjurek.com

Jureks Buch ist 2012 erschienen, im Jahr darauf auch als Taschenbuch (Besprechung in LaufReport). Sabine Schlimm, die auch Ernährungs- und Kochbücher lektoriert hat, hat den Text, der physiologisch einige Ansprüche stellt, ins Deutsche übertragen; es ist ihr gelungen, den Umgangsstil leistungsorientierter Läufer zu treffen. Bei den zahlreichen Hinweisen auf Bücher, die Jurek empfiehlt, ist jeweils angegeben, ob sie auf Deutsch erhältlich seien.

Das Titelbild des Umschlags entspricht der Originalausgabe. Bedauerlich ist, daß die 29 Bilder, auch wenn manches davon provinziell wirkt, nicht übernommen worden sind; sie hätten sicher zu einer noch größeren Annäherung an Scott Jurek beigetragen. So sorgfältig die gebundene Ausgabe auch wirkt, - die Seitenzahlen bei der Leserinformation und dem Prolog stimmen nicht; grammatikalisch: lehren erfordert den Akkusativ, nicht den Dativ.

Doch mit einer Mäkelei möchte ich nicht schließen. Lieber mit Scott Jureks Worten: "Wir Ultraläufer müssen unser Training durchdacht und mit so viel Wissen wie möglich angehen, aber wir können uns nicht erlauben, dabei unflexibel zu werden. Wenn es eines gibt, womit ich in einem 160-Kilometer-Rennen fest rechnen kann, dann ist es, dass Dinge passieren, die ich nicht einkalkuliert habe." (Seite 206) Oder dieser Stelle, mit der er eine Theorie von Tim Noakes aufgreift: "Ich habe im Ultrasport immer schon bessere Leistungen erbracht, als man es angesichts meiner physischen Voraussetzungen und meiner Marathonzeit für möglich gehalten hätte. Seit längerer Zeit bin ich der Meinung, dass Ultras vor allem psychologische Wettbewerbe sind." (Seite 222)

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Scott Jurek: Eat & Run. Mein ungewöhnlicher Weg als veganer Ultramarathon-Läufer an die Weltspitze. Mit Steve Friedman. Geb., 336 S., Südwest-Verlag, 2014. 19,99 € (D), ISBN 978-3-517-08970-6

Mehr als Marathon

Wege zum Ultralauf

 

Geschafft! Respekt, ja Bewunderung gebührt dem Autor, der im Alter von 87 Jahren sein Wissen und seine in 47 Laufjahren gesammelten Erkenntnisse in seinem neuen Werk weitergibt. Werner Sonntag bringt aber nicht nur die Erfahrungen aus Jahrzehnte langem Laufen ein, in denen er 192 Marathons und 147 Ultramarathons bestritten hat. Er hat sich fast ein halbes Jahrhundert als kritischer Beobachter und Journalist intensiv auch viel mit Laufen befasst. Bereits 1978 ist sein literarischer Text "Irgendwann musst Du nach Biel" erschienen, der sich zu einem Leitmotiv in der Laufszene verselbständigt hat. Und noch immer ist der älteste und berühmteste Ultramarathon Europas der Lauf, an dem Jahr für Jahr ein Drittel der Teilnehmer zum ersten Mal die 100 Kilometer in Angriff nimmt, wie in Mehr als Marathon zu erfahren ist.

Bald sind es dreißig Jahre her, seit das zweibändige Buch mit dem gleichen Titel ‚Mehr als Marathon' von Werner Sonntag erschienen ist. Nun erwartet uns ein fast gänzlich neuer Text, verspricht uns der Autor. Dank seines Erfahrungswachstums und der jahrelangen gedanklichen Beschäftigung mit dem Thema einschließlich der Ernährung könne er persönlicher werden. Ich bin in mancher Hinsicht unbekümmerter - manche werden sagen: mutiger - geworden. So beginnt Werner Sonntag das Kapitel 1: Was in diesem Buch steht.

Dass man darin keine Trainingspläne findet, der Autor sich weigert, Trainingskompetenz vorzugaukeln, sich auf Trainingsanleitungen beschränkt, verschweigt er nicht. Doch was heißt das? Es soll angehende Ultraläufer zu mehr als Marathon hinführen, sei nicht für die Elite des Ultramarathons, so Werner Sonntag. Mit Verlaub, hier muss ich widersprechen und behaupte, dass es sehr wohl selbst für die Besten der Besten im Ultramarathon ein lehrreicher Lesestoff ist. Ja, Lesestoff! "Oh, ein richtiges Buch", so der erste Eindruck von Mehr als Marathon. 266 Textseiten, nur unterbrochen von 12 Seiten mit Schwarz-Weiß-Fotos in der Mitte. Längst sind wir gewöhnt, dass Laufbücher mit vielen bunten Abbildungen, bevorzugt von Fotomodellen, deren Schweiß in der Maske aufgetragen wurde, mit überschaubaren Tabellen und von Farbschattierungen aufgefangen und geführt, uns das Lesen, genauer das Schauen, erleichtern. Fast ungeschminkt, ohne Auflockerungen und ohne Leerräume präsentiert sich Mehr als Marathon. Als bekäme man nichts geschenkt. Doch ist dieser erste Eindruck falsch. Denn der Leser wird reichlich belohnt.

Der Inhalt ist in Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat, einer Redensart, einer ‚Läuferweisheit'. Verraten sei hier nur der Spruch zum Kapitel 1 von Doug Barber, einem amerikanischen Ultraläufer: "Wenn ich schon nicht schneller laufen kann, dann lauf ich halt länger." Am Ende der Kapitel wird in einem ‚Merkzettel' kurz und prägnant das Wesentliche noch einmal erinnert.

Einige der Kapitel will ich aufgreifen. Was ist Ultramarathon? Weshalb Ultramarathon? Bin ich ein Ultraläufer? Dazwischen werden die beiden Fragen aufgeworfen: Weshalb ist es schwerer, 100 Kilometer statt Marathon zu laufen? Weshalb ist es leichter, 100 Kilometer statt Marathon zu laufen? Spezielle Aspekte liefern die Themen: ‚Die Chance der Frauen' sowie ‚Langsamer und länger im Alter'. Viele Hinweise sind nicht auf Distanzen jenseits des Marathons begrenzt, sondern haben allgemeine Gültigkeit. Werner Sonntag widmet mehrere Kapitel dem Training, doch ‚Training ist im Ultramarathon nicht alles', lehrt ein eigenes Kapitel. Wichtig, die Psychologie für Ultralangläufer, denn allein physische Stärke führt oft nicht zum Ziel. Probleme beim Wettkampf, Technik und Taktik, die Ausrüstung - was ist notwendig? Regeneration, Gesundheit, die Geschichte des langen Laufens, Tipps und Wissenswertes sind weitere Inhalte.

Über zwei Dutzend Seiten befassen sich mit dem Thema Ernährung: Ohne Sportgetränke und Gels? Schon die Frage eine Provokation? Unbekümmert, mutig, vor allem ehrlich, die Ausführungen von Werner Sonntag, ein überzeugter Befürworter der vollwertigen Ernährung, aber zudem auch Vegetarier. Die Grenzen gesunder Ernährung als auch des Sports verheimlicht er nicht. Sport allein ist nicht ausreichend zur Gesunderhaltung, sagt Werner Sonntag. Mag sein, die anderen Kapitel sind leichter zu verdauen. Denn so einfach es klingt, dass die Vollwerternährung sich auf vier Unterlassungen und vier positive Grundsätzen gründet, sind die von Dr. med. Bruker genannten Unterlassungen recht weitreichend: Alle Zuckerarten, die in der Fabrik hergestellt sind, alle raffinierten Fette, alle Auszugsmehle, keine Säfte aus Obst und Gemüse, kein gekochtes Obst, keine Trockenfrüchte, kein Kaffee sowie weder grünen noch schwarzen Tee. Werner Sonntag belässt es bei Anregungen, tolerant gegenüber der Masse, die hier nicht folgen wird. Wenn schon Gels, Riegel und Sportgetränke im Wettkampf, dann gilt die Regel, so Werner Sonntag: Während eines Wettbewerbs nichts Unbekanntes zu sich nehmen.

Erlebtes, ja Erfahrenes, ist in diesem Buch offen gelegt. Auch die Rückmeldungen zu seinem Buch ‚Bieler Juni-Nächte' haben Werner Sonntag den Bedarf an Informationen aufgezeigt. Nach über zehn Jahren, in denen ich selbst den Lesern der LaufReport Rubrik BIEL Projekt unzählige Fragen beantwortet habe, empfehle ich allen das Buch Mehr als Marathon, das für am Ultralauf Interessierte ein Muss ist. Werner Sonntag hat die Gabe, seine Erfahrungen und sein Wissen verständlich und kurzweilig zu formulieren. Als Journalist alter Schule scheut er sich nicht vor der Recherche, bleibt aber bei der konservativen Orthographie.

Gelesen und besprochen von Walter Wagner

Werner Sonntag: Mehr als Marathon - Wege zum Ultralauf. Sportwelt Verlag, Taschenbuch, 17,95 €, ISBN 978-3-941297-28-9

Im 6. Fall des Privatdetektivs Max Koller wird´s olympisch

Endlich packt Marcus Imbsweiler sein Laufwissen in einen Krimi

 

"Spannend, humorvoll und authentisch" - so bewirbt der Gmeiner Verlag auf dem Umschlag den neuen Krimi von Marcus Imbsweiler, in dem es um "Glücksspiele" geht. Und tut dies vollkommen zurecht, denn "obwohl Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig" sind, ist der sechste Fall des Privatdetektivs Max Koller der bisherige Höhepunkt von Imbsweilers Heidelberg-Krimi-Reihe, die sich auch mit den fünf Vorgängerbänden weit abseits der recht ausgetretenen Pfade des Regio-Krimi-Genres bewegt, das allzu oft mehr mit pittoresker Betulichkeit langweilt als packend und anspruchsvoll unterhält. Obwohl Heidelberg natürlich auch diesmal einer der Schauplätze der Handlung ist, kommt dem regionalen Bezug untergeordnete Bedeutung zu, weil Imbsweiler seinen Detektiv durch die gesamte Republik führt, wobei er oft mehr außer Atem kommt, als ihm lieb ist.

Besonders dann, wenn er die deutsche Marathonhoffnung Katinka Glück auf dem Fahrrad bei ihren Trainingsläufen begleitet, ein Teil seines Auftrags, der im Schutz der durch immer weniger versteckte Drohungen eingeschüchterten Athletin besteht. Diese soll von einem Start bei den Olympischen Spielen in London abgehalten werden. Doch was steckt dahinter? Machenschaften der internationalen Konkurrenz? Widersacher im Lager der deutschen Marathonläuferinnen oder sogar der eigene Ehemann? Die Auflösung dieses wendungsreichen Romans soll hier nicht verraten werden. Der Hinweis, dass es neben Themenfeldern wie der allumfassenden Ökonomisierung des Sports, der Vereinnahmung von Sport durch die Politik und Doping ("legalem" und illegalem) auch um die Unsitte der "Sport"wetten geht, vor deren Suchtpotenzial ja zurecht gewarnt werden muss, sollte der Spannung keinen Abbruch tun. Imbsweilers "Glücksspiele" bieten für den Einsatz von 11,90 Euro eine absolute Lese- und Erkenntnisgewinn-Garantie. Vor dem Suchtpotenzial der Koller-Romane muss allerdings auch "gewarnt" werden - ich freue mich schon auf den nächsten Fall.

Rezension von Dirk Katzschmann - www.heidelberger-lese-zeiten-verlag.de

Marcus Imbsweiler: Glücksspiele Kriminalroman. Gmeiner Verlag, Meßkirch, 2012. Broschiert, 434 Seiten. 11,90 €. ISBN 978-3-8392-1311-7

 

Das große Laufbuch

Der Lauf-Bestseller auf dem neuesten Stand!

Herbert Steffny hat seinen Bestseller vollkommen überarbeitet und erweitert und sein ganzes Wissen aus seiner langjährigen Wettkampf-, Trainings- und Seminarpraxis neu zusammengefasst. Er informiert über die richtige Ausrüstung, alle Laufdisziplinen und zeigt Anfängern wie Fortgeschrittenen mit praxiserprobten Trainingsplänen, wie sie ihre Ziele Schritt-für-Schritt erreichen können. Darüber hinaus gibt er wertvolle Tipps zur richtigen Ernährung und Motivation sowie einen Überblick über die besten Laufveranstaltungen. Ergänzt wird das Buch um neue Pläne für die 25-Kilometer-Distanz, Informationen zum Abnehmen durch das Laufen, eine Auswahl der schönsten Strecken und ein Lexikon der Fachbegriffe.

Das komplette (große) Laufbuch

Diese schwerwiegenden Argumente, endlich mit dem Laufen zu beginnen, wiegen tatsächlich schwer: Das Laufbuch von Herbert Steffny mit 408 dicken Seiten bringt knapp ein Kilo auf die Waage. Darin sind gewichtige Gedanken enthalten, beispielsweise wie man durch das Laufen Gewicht verlieren kann.

Das dicke Buch informiert daneben über alles, was es rund um den Laufsport zu sagen gibt. Herbert Steffny fasst hier seine Erfahrungen aus seinen Laufseminaren zusammen, die der sympathische Laufexperte seit Jahrzehnten im Schwarzwald erfolgreich anbietet.

Herbert Steffny war 16 Mal deutscher Meister. 1986 gewann er Marathon-Bronze bei der EM. Später kam er als Seniorenläufer – nach einem Tief durch Verletzungen – wieder zurück und lief mit 42 Jahren beispielsweise 2:19 Stunden auf dem schwierigen Boston-Kurs. Im letzten Jahr dann mit 50 Jahren erneut ein grandioses Comeback: Dreifacher Deutscher M50-Meister, darunter mit 32:31 Minuten deutscher M50-Seniorenrekord über 10 km. (Diesen Rekord hat inzwischen sein Lauffreund und Seminarpartner Charly Doll auf 32:05 verbessert.)

Der Mann weiß also, wovon er schreibt. Es gibt kaum ein Thema, das man nicht in dem „großen Laufbuch“ finden könnte. Das Thema „Motivation“ spricht vor allem Anfänger an, ebenso das Kapitel „Jogging“ mit vielen Einsteigertipps. Bei „Running“ geht es dann schon um Leistung. Der erste Wettkampf steht an. Interessant für Fortgeschrittene sind hier die Halbmarathon-Trainingspläne (mit verschiedenen Endzeitzielen) – die nämlich in anderen Büchern seltener zu finden sind. Natürlich fehlen auch Pläne für Marathon - und sogar für den 100km-Lauf - nicht. Dazu Ernährung und Gymnastik und weitere Themen.

Was das Buch interessant macht, sind auch die eingeschobenen Beiträge: ein Interview mit Joschka Fischer und mit Seniorenmeister Walter Koch, persönliche Erlebnisse des Autors mit Geschichten und Gedanken am Rande. So ein erfahrener und erfolgreicher Läufer wie Steffny hat schon was zu erzählen (da möchte man gerne mehr von lesen). Allein die ansprechenden Fotos sind eine Motivation für sich: Das Auge isst mit (im Kapitel über Ernährung) oder es joggt mit (im restlichen Buch). Ein ansprechendes Nachschlagewerk!

Herbert Steffny: Das große Laufbuch.
Vom richtigen Einstieg bis zum Marathon: Alles, was man übers Laufen wissen muss
Jetzt 408 Seiten. München Südwest Verlag 2011. 24,99 Euro.
Mehr dazu auch bei www.herbertsteffny.de

Gelesen und beschrieben von Birgit Schillinger

Dreimal Marathon des Sables

 

Ob der Titel eine Anspielung auf Karl Mays „Durch die Wüste“ ist? Zuzutrauen wär’s dem Verfasser. Doch inhaltlich wird keine Anleihe bei Karl May genommen. Andreas Dörfler beschreibt seine drei Teilnahmen am Marathon des Sables.

Welche Faszination diesem einwöchigen „Sandlauf“ durch die marokkanische Wüste innewohnt, mag schon daran zu erkennen sein, daß dies das dritte Buch über das Laufereignis ist, das der Franzose Patrick Bauer im Jahr 1986 geschaffen hat. Ende 2003 erschien von Herbert Meneweger „Marathon des Sables: Die Grenze ist, wo die Vorstellungskraft endet“ und 2010 das englischsprachige von Mark Hines, „The Marathon des Sables“.

Dörflers „Durch die Wüste“ ist bereits seit 2012 auf dem Markt, ein Band, der ganz sicher in der Flut der Laufbücher untergegangen ist – zu Unrecht.

Gewiß, ein solches Buch kauft man wohl erst, wenn man an dem beschriebenen Lauf teilnehmen will. Das sind jetzt jährlich ungefähr 1000 Läufer, in diesem Jahr gerade einmal 20 Deutsche. Die informationsbedürftigen Interessenten enttäuscht Dörfler nicht; aber er hält sich nicht lange damit auf, zumal da es dafür primär das Internet gibt. Er schildert den Tagesablauf, und man erfährt, daß er einen MP3-Player mit sich führt und Tschaikowskys „Pathetique“ hört. Da ahnt man, daß sich hinter dem ganz schlichten Erzählstil Erlebnistiefe verbirgt.

Fertig. Schon folgt der nächste Wüstenlauf zwei Jahre später. Kurze Reflexion über die Lehren aus dem ersten. Unterlegt mit Zitaten aus „Faust“ I. Denn: „ Mich hält derzeit Goethes Faust in Atem.“ Auf Geschäftsreisen führt Dörfler eine ledergebundene Ausgabe aus dem Jahr 1876 mit sich; er liest den „Faust“ auch im Wüstenzelt. Die ungewohnten Aspekte machen den Band auch für solche Leser reizvoll, die Dörfler keineswegs in die Wüste folgen wollen.

In der Schilderung des dritten Laufes wieder zwei Jahre später, im Jahr 2010, reflektiert Dörfler über sein Leben in San Salvador. Dort ist er vom zehnten Lebensjahr an aufgewachsen, dort haben die Eltern ihn und seine drei Brüder an die Musik herangeführt. „Vielleicht früher als heutige Kinder sah ich mich existentiellen, theologischen, politischen und philosophischen Fragen gegenübergestellt; sie säumten buchstäblich meinen Schulweg. Diese Welt in bipolarer Unordnung hat mir Blick, Empfindung und Verständnis für den Lauf der Dinge und deren Abbild in meinem Innern geschärft. Vielleicht ist dies das Verbindende zum Marathon des Sables, der durch seine Extreme, durch menschliche Grenzerfahrung, den Läufer in Kammern der eigenen Seele blicken läßt, die im Blendlicht des Alltags dem inneren Auge verborgen bleiben.“

In dieses Kapitel blendet der Autor immer wieder Reminiszenzen an El Salvador ein, Bürgerkriegsszenen blutiger Auseinandersetzungen, schließlich die Information, daß der Schulbesuch in drei Ländern ihn bereichert habe. Dazwischen sanfte Kontraste klassischer Musik, die er auf seinem Lauf hört. Wenn man den Begriff „Literatur“ präzise und dauerhaft definieren könnte, dann wäre dies ein Sachbuch auf dem Wege zur Literatur. Wer nach einem Geschenk für Läufer sucht, sollte das Büchlein in seine Auswahl nehmen.

Einwände: Der Untertitel „Drei Mal beim härtesten Ultra-Marathon“ trifft nicht ganz. Der Marathon des Sables ist kein Ultralauf, auch wenn eine Etappe davon eine Ultrastrecke ist; er ist ein Etappenlauf. Der Band enthält über fünfzig Farbbilder, wahrscheinlich vom Autor aufgenommen. Das entschuldigt die manchmal mangelhafte Qualität. Bedauerlich ist, daß sich der Autor Bildunterschriften erspart hat. Daran, an der fehlenden Intervention eines Lektors, zeigt sich der Nachteil eines Bandes, der von einem „Books of demand“-Unternehmen, hier wohl Amazon, gedruckt worden ist.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Andreas Dörfler: Durch die Wüste. Drei Mal beim härtesten Ultra-Marathon. 2012, Taschenbuch, 116 S., ill. Create Space Independent Publishing Platform. ISBN 9-781479-22477-7, 19,89 €

Lustige Abenteuer eines ambitionierten Hobbyläufers

 

Das Cover des schmalen Taschenbuches ziert eine verfremdete Darstellung eines Läufers bei seinem Training am Düsseldorfer Rheinufer. Seine Haltung ist vorbildlich: aufrechter, leicht nach vorne geneigter Oberkörper, kraftvoller Kniehub, gestrecktes Hinterbein, angewinkelter Arm, der mit dem Rücken das angestrebte Dreieck bildet. Das Erscheinungsbild lässt vermuten, dass es sich um einen schnellen Läufer handelt. Allein, der flotte Mann wird verfolgt von einem aggressiven Schwan, der es auf seine Waden abgesehen hat. Eine Szene, die später auch im Buch wiederkehrt und in gewisser Weise typisch ist für einige der Abenteuer, die der Ich-Erzähler als ehrgeiziger Hobbyläufer während des Trainings oder der Wettkämpfe erleben wird. Ein anderes ist die ungewollte Begegnung mit einer Nordic-Walking-Truppe, dreißig Köpfe stark, die ihm auf einer Rheinbrücke rücksichtslos den Weg versperrt.

Als er sich durch die Walker seine Bahn zu schlagen sucht, reißt er einen schwergewichtigen "Ge(h)parden", wie er die Spezies ironisch nennt, mit, stürzt, und der Zwei-Zentner-Mann - platsch - auf ihn drauf. Unter Häme und Beschimpfung sucht der Läufer das Weite, über und über besät mit Blessuren. Als ihm ein Orthopäde rät, wegen seines beschädigten Knies das Laufen dranzugeben und mit Nordic Walking anzufangen, bedeutet das für unseren Helden "die Höchststrafe".

Aber es kommt anders. Mit Zähigkeit und einer gewissen Ignoranz gegen den ärztlichen Rat kämpft sich Knut Knieping, so der Name des Berichtenden, zurück ins Läuferleben und hin bis zur mehrfachen Marathonteilnahme. Seine persönliche Bestzeit kann er in Bubkascher Salamietaktik sogar mehrfach steigern bis auf 2:48:38 Stunden. Das ist auch die Zahl, die vorne auf dem Cover über dem Buchtitel "Temporausch. Laufen zwischen Rhein und Uhr" eingeblendet ist. Er ist also kein Spitzenläufer, aber ein flotter Hobbyläufer mit einem Leistungsvermögen, das sich viele andere wünschen würden. Wenn er sich allerdings im Buch als "überdurchschnittlich ambitionierter, aber unterdurchschnittlich talentierter Breitensportler" bezeichnet, dann ist das kalkuliertes Understatement. Schon beim ersten Lauf über zehn Kilometer, dem KÖ-Lauf, wird deutlich, dass der leptosome Athlet keiner von schlechten Eltern ist. Immerhin finisht er unter 37 Minuten und kann dabei seinen Dauerwidersacher, einen federnd leicht daherkommender Laufmethusalem schlagen, der später zu seinem Bedauern und Schrecken immer wieder unversehens auftaucht und ihm die Hacken zeigt.

Mit "Temporausch" hat Knut Knieping eine episodisch organisierte, überaus humorvolle Erzählung vom Läufer für Läufer vorgelegt, die keinen durchgehenden Handlungsstrang hat, sondern ausgewählte Erlebnisse aus dem sportlichen Leben des am Ende etwa Mittvierzigers vorstellt. Es beginnt mit dem Achtjährigen, der wider Willen an einem 800-Meter-Lauf teilnehmen muss, nur weil sich sein Vater das in den Kopf gesetzt hat. Dann folgen Erlebnisse aus der Bundeswehr-, Studenten- und Referendarszeit, als er auch das Laufen für sich entdeckt. Längere Schilderungen seines meist unorganisierten Trainings und der Wettkämpfe treten dann immer mehr in den Vordergrund. Dass er später den Beruf des Rechtsanwalts ergreift, heiratet und Vater wird, sind in diesem Zusammenhang eher Randerscheinungen, wiewohl sie die Lebenseckpunkte des Helden markieren.

Knut Knieping ist ein Pseudonym, aber wer will, kann die wahre Identität, die freilich hier nicht verraten wird, anhand der im Buch genannten Fakten wohl herausbekommen. Das Buch ist flott und mit viel Selbstironie geschrieben, hat ausgesprochen humorvolle Passagen und kann in einem (längeren) Rutsch ganz durchlesen werden. Knieping arbeitet viel mit Wortneuschöpfungen, lustigen Vergleichen und der Schilderung alltäglicher Absurditäten. Er ist (manchmal etwas übereifrig) bemüht, immer originell und spritzig zu sein. Meist gelingt ihm das auch, allerdings bleiben da Wiederholungen nicht aus. Dem "endorphingeflutete Hirn", der "hechelnden Atmung" und dem "Adrenalinschock" begegnet man öfters, was am Ende das durchaus vorhandene Lesevergnügen etwas eintrübt.

Dem Buch hätte es gut getan, wenn die Laufgeschichten in einen etwas größeren biographischen oder gesellschaftlichen Kontext eingebettet worden wären, wie der Anfang noch hoffen lässt, als die Abenteuer des Achtjährigen korrespondieren mit der Fußballeuropameisterschaft 1976 und den Zeiterscheinungen der siebziger Jahre. Das hätte dem ganzen etwas romanhafte Züge verliehen und das Buch literarisiert. So bleibt die Story sehr fixiert auf das Thema Laufen, was als inhaltlich tragende Säule nicht ganz ausreicht.

Gelesen und besprochen von Michael Schardt

Knut Knieping: Temporausch - Laufen zwischen Rhein und Uhr. Betzenstein: Sportwelt Verlag 2014, Taschenbuch, 152 Seiten, 10,95 Euro, E-Book: 8,98 €

 

Lauf oder stirb

So der martialische Titel eines Buches von dem noch jungen Ausnahmesportler Kilian Jornet. Dazu passt auch das beinahe in schwarz-weiß gehaltene Titelbild, das von der Optik her dem zweiten Buch von dem hier landesweit bekannten Extremsportler Joey Kelly ("Hysterie des Körpers") ähnelt. Es setzt sich fort in der Einleitung, beim Manifest eines Trailläufers, wo es heißt: "Sport ist egoistisch, weil man egoistisch sein muss, um kämpfen und leiden zu können, um die Einsamkeit und die Hölle zu lieben".

Der 26-jährige Katalane dominiert seit Jahren die Trailrunningszene nach Belieben, ist Weltmeister im Skibergsteigen und im Trailrunning, Rekordhalter im Speedclimbing (schnellste Zeiten für Auf- und Abstieg auf das Matterhorn, den Mont Blanc und den Kilimandscharo).

Jornet, der auf einer Berghütte in den Pyrenäen aufwuchs und im Alter von sechs Jahren zum ersten Mal auf einem Viertausender stand, ist ein Besessener: "Ich genieße den Wettkampf. Jeden davon möchte ich gewinnen und dabei das Gefühl erleben, als Erster durchs Band zu laufen". Sein allererster Ultralauf war dann auch gleich ein richtiges Schwergewicht: Beim Ultra-Trail du Mont-Blanc (166 km + 9500 HM) triumphierte er auf Anhieb und schrieb sich mit gerade mal 20 Jahren als jüngster Sieger in die Rennannalen ein. In dem Kapitel "Meine Dämonen besiegen" schreibt er dazu: "Als ich mich zur Teilnahme an diesem Lauf entschied, wollte ich nicht wissen, ob ich in der Lage bin, die 160 Kilometer durchzustehen. Nein, als ich mich für die Teilnahme am Ultra-Trail du Mont-Blanc entschied, wusste ich, dass ich dieses Rennen gewinnen konnte. Nun blieb mir ein Monat Zeit für die Vorbereitung."

Jornet hat viel zu erzählen und seine Zitate sind oft sehr philosophisch, was erstaunlich für einen so jungen Burschen ist. Seine Leistungsfähigkeit und Willensstärke ist ein Phänomen, aber nur die eine Seite des Erfolgs. Die akribische Vorbereitung seiner Projekte bis ins Detail, die andere Seite. Der Sportler erzählt von seiner Kindheit in den Bergen, bis hin zu den Siegen beim UTMB und der schnellsten Kilimandscharo Begehung. Er verrät wie er sich dazu motiviert noch schneller und weiter zu laufen, berichtet vom Spiel mit den eigenen Grenzen, den Emotionen und der absoluten Freiheit in den Bergen. Der Athlet lässt den Leser an seinen Gedanken teilhaben - sozusagen Extremlaufen als Kopfkino. Dennoch ist dieses Buch kein Buch über das Laufen, sondern die Biographie eines Lebens, das nicht reich an Jahren sondern reich an Erfolgen und Erlebnissen ist.

Der von National Geographic als Abenteurer des Jahres 2014 ausgezeichnete Athlet will in den kommenden Jahren im Rahmen des Projekts "Summits of my Life" weitere Geschwindigkeitsrekorde an den höchsten Bergen der Welt aufstellen. Im Fokus ist der Elbrus im Kaukasus, mit 5642 m der höchste Punkt Europas. Ein erster Versuch die bestehende Marke von 3:27 h zu knacken scheiterte im letzten Winter 300 Meter unterhalb des Gipfels, wegen Schnee und starkem Wind. Ebenfalls auf der Liste steht der Aconcagua (6962 m, höchster Berg Südamerikas, Besteigungsrekord 5:57 h) und last, but not least, der Mount Everest. Am höchsten Berg der Welt steht die Rekordmarke bei 20 Stunden und 24 Minuten. Mehr Informationen gibt es auf der Homepage von Kilian Jornet: www.kilianjornet.cat

Gelesen und besprochen von Stefan Schlett

Jornet, Kilian: Lauf oder stirb; Das Leben eine bedingungslosen Läufers
Aus dem Katalanischen von Katharina Förs und Barbara Reitz
2. Auflage 2013: Die deutsche Ausgabe wurde um das Kapitel "Meine Dämonen besiegen" erweitert. Erschienen im Piper Verlag, München
Die katalanische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel "Córrer o Morir" bei Ara Llibres, Badalona

224 Seiten, gebunden, 18,99 €, ISBN 978-3-89029-764-4

Ein persönliches Biel-Buch

Eine Einschränkung: Dies ist keine objektive Besprechung, kann es nicht sein, weil die Unabhängigkeit fehlt. Der Autor hat nach den Trainingsplänen von LaufReport für die 100 Kilometer von Biel trainiert und lobt "die wirklich wackeren Laufberater von www.laufreport.de". Er widmet dem Rezensenten, also mir, als einer "Legende von Biel" ein kleines Kapitel.

 

Zum Verlag: Der Engelsdorfer Verlag, gegründet von dem Schriftsteller Tino Hemmann, hat den negativen Ruf eines Zuschußverlages, obgleich in Wahrheit seine Definition nur noch nicht hinreichend ist; tatsächlich beschränkt er sich in der Hauptsache darauf, für jeden, der nur will, 100 Euro zahlt und 30 Exemplare kauft, ein Buch im Digitaldruck herzustellen. Verlagsleistungen wie Lektorat und Verkauf bleiben dem Autor vorbehalten. Es ist zwar eine preiswerte Möglichkeit des Einstiegs zum eigenen Buch, die in zehn Jahren von etwa 1700 Autoren wahrgenommen worden ist; aber in der herkömmlichen Verlagslandschaft zieht man die Augenbrauen empor. Dabei gibt es auch hier schon einige Übergänge: Ursprünglich waren nur Satzherstellung und Druck außer Haus gegeben worden.

Seriöse Verlage betrauen heute freiberufliche Lektoren und haben die komplette Auslieferung ausgegliedert.

Als 1985 "der größte Sportverlag" (nach eigener Angabe) begann, hörte ich nach dem Abgeben des Manuskripts "Mehr als Marathon" nichts mehr, bis ich auf Nachfrage das gedruckte Exemplar meines Buches überreicht erhielt; darin waren nicht einmal die von mir verständlicherweise offengelassenen Seitenzahlen in das Inhaltsverzeichnis eingefügt - nur der Untertitel war verfälscht. Über den Engelsdorfer Verlag wird man sicher sagen können, daß der Inhaber, Tino Hemmann, seine Kollegen nicht ausbeuten will. Ingo Schulze hat seine drei Transeuropa-Bücher und neuerdings eines über seine Frachtschiffreise hier veröffentlicht; auch für den Autor der "100 km von Biel" ist es das zweite Buch, das er im Engelsdorfer Verlag publiziert hat; das erste ist eines über die "moderne Fußballsprache". Zudem: Der Politikwissenschaftler Uwe Loll kennt sich in der Medienlandschaft aus, hat also sehr bewußt seine Wahl getroffen.

Möglicherweise wollen das alles die Leser dieser Buchvorstellung gar nicht wissen, sondern: Was hat es mit diesem Buch "Die 100 km von Biel. Ein Selbstversuch" auf sich? Es ist, wie der Untertitel sagt, ein sehr persönliches Buch. Loll schildert, wie er nach 20 Marathons zu den 100 Kilometern gefunden, wie er sich vorbereitet und er die 100 Kilometer erlitten hat. Insofern gibt er die Befindlichkeit und die Erfahrungen vieler Erst-Ultraläufer wieder. Das dürfte wohl auch die hauptsächliche Zielgruppe des Büchleins von 132 Seiten sein. Kombiniert hat Loll seine persönlichen Erfahrungen mit den bekannten Informationen über die Veranstaltung in Biel und zahlreichen ausführlichen, nach meiner Meinung viel zu ausführlichen Zitaten über den Ultralauf und einige bekannte Ultraläufer. Danach gibt er sein Lauftagebuch aus den Monaten vor dem Termin wieder. Im Grunde ist es ein Buch, mit dem Loll sich wohl vor allem selbst eine Freude gemacht hat.

Es tut mir leid: Trotz allen schönen Worten über mich - ich hatte von dem Titel mehr erwartet (aber wenigstens operiert der Autor nicht mit einem 95er- oder gar 99er-Preis).

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Uwe Loll: Die 100 km von Biel. Ein Selbstversuch. Broschiert, 132 S., ill. Engelsdorfer Verlag, 2013, 12 €. ISBN 978-3-95488-664-7

US-Neuausgabe:

The Joy of Running

 

Laut Wikipedia erscheinen jedes Jahr weltweit über 2 Millionen neue Buchtitel und -editionen. Allein in den USA liegt deren Zahl bei über 300.000. Die meisten sind zum sofortigen geistigen Verzehr bestimmt; als haltbar bzw. nachhaltig erweisen sie sich nicht. Anders jene Bücher, die grundlegend Neues zur Sprache bringen und Perspektiven über den Tag hinaus eröffnen. Wer wie sie die Prüfung durch die Zeit besteht, geht als Klassiker in die Literaturgeschichte ein. Eines der auf sie zutreffenden Merkmale: ihr Nachdruck viele Jahre später.

Zum Themenbereich von Laufen und Gesundheit fallen mir spontan zwei Werke ein, die neu aufgelegt wurden:

Zum einen das von Michael L. Sachs & Gary W. Buffone 1984 herausgegebene Running as Therapy. An Integrated Approach, das 1997 eine Neuausgabe erfuhr. Zum anderen George A. Sheehans Running and Being. The Total Experience, das 1998 als "20th Anniversary Edition" der 1978er Erstauflage erschien. Jetzt, 37 (!) Jahre nach dem Erstdruck in 1976, kommt The Joy of Running von Thaddeus L. Kostrubala, einem US-amerikanischen Psychiater und Marathonläufer hinzu.

Mit dieser Neuausgabe hat der Verleger Dominic Bosco einen Schatz gehoben. Dabei hatte das Buch seine Erstausgabe mehr oder weniger einem Zufall zu verdanken gehabt. An einer Veröffentlichung war nur ein Verlag interessiert gewesen. Dass das Buch wie eine "Bombe" einschlug, überraschte Verlag wie Autor. Der gebundenen Ausgabe folgten rasch mehrere Paperback-Auflagen. Etwa 10 Jahre blieb The Joy of Running auf der Lieferliste des Verlages. Über die USA hinaus wurde das Buch in Mexiko, Italien, Japan, Australien und Neuseeland aufgelegt. Es fand schätzungsweise 1 Million Leser.

 

Was war und ist das Besondere an The Joy of Running? Zum einen die dargelegte persönliche Geschichte des Autors, dessen beruflicher und materieller Glanz angesichts seiner zunehmend schlechter gewordenen körperlichen und seelischen Verfassung matt wurde. "Ich war ein erfolgreicher Arzt und Psychiater. Einige nannten mich sogar charismatisch und brillant. Doch irgendwie war ich ein Versager, und ich wusste es. Ich fühlte, dass es kein Abweichen von dem Weg gab, auf dem ich ging. Alkohol war zu meinem bevorzugten Medikament geworden. Ich war angespannt. Ich war fett. Und ich wusste in den seltenen Augenblicken der Selbsterkenntnis, dass ich den Kontakt zu den Dingen verloren hatte, die meine Seele erneuern konnten."

Als sein Gewicht auf 104 kg bei einer Größe von 1,80 m geklettert war und sich hohe Cholesterin- und Blutdruckwerte eingestellt hatten, wurde ihm klar: "Ich war auf dem besten Wege zum Herzinfarkt."

Auf beeindruckende Weise schildert Dr. Kostrubala, wie er sich durch Laufen rettete und fitt machte, körperlich wie geistig. Und wie er eines Tages mit seinen psychiatrischen Patienten zu laufen begann. Was ihm Spott und Hohn von Kollegen und der Fachöffentlichkeit einbrachte. Ein Therapeut, der gemeinsam mit seinen Patienten joggte und schwitzte und derlei Tun als ernst zu nehmende Behandlung bei psychischen Erkrankungen deklarierte, wurde vom Establishment nicht nur nicht ernst genommen, sein Tun verstieß gegen allgemein gültige Freud'sche und Jung'sche Prinzipien und Praktiken. Doch ließ sich Kostrubala angesichts der erzielten Ergebnisse nicht vom Weitermachen abhalten. Balsam für seine angegriffene Seele waren die Worte von Dr. med. Jack H. Scaff, Direktor der "Honolulu Medical Group" und Präsident der "Honolulu Marathon Association". The Joy of Running sei "ein helles Licht am Ende eines langen Tunnels der Ignoranz gegenüber den Wirkungen des langsamen Ausdauerlaufens auf den Geist und den Körper des Menschen." Bücher wie dieses seien lange überfällig.

Das, was Thaddeus Kostrubala über die allgemeinen und speziellen psychischen Effekte ausdauernden Laufens, insbesondere auf Erkrankungen erkannt und niedergeschrieben hatte, fand im Zuge späterer Forschung allmählich Anerkennung. Fortan wurde er in der US-Öffentlichkeit schlicht "der Laufdoktor" oder "der Laufpsychiater" genannt. Das "New York Magazine" bezeichnete ihn gar als "ein Hoher Priester des Langstreckenlaufs". Wie nachhaltig ihm sein erster Marathonlauf, den er ebenfalls beschreibt, war, zeigt sich an verschiedenen Stellen von The Joy of Running; immer wieder ergeht sein Aufruf: "Plane einen Marathon zu laufen!" Pragmatisch betrachtet seien die 42 km "ein definitiver Endpunkt", "eine klar abgemessene Distanz". "Es gibt wenig daran herumzudrehen - ein Marathon sind 26 Meilen und 385 yards". Doch ein Marathon sei auch "dieser schwer fassbare, erhofft-perfekte Tag, an dem alle Faktoren des Trainings, der Ernährung [und und und] ineinandergreifen [müssen], um diese Kombination zu ergeben, die einem erlaubt, einen persönlichen Rekord zu laufen, ohne Schmerzen, und ein leichtes Lächeln auf der Ziellinie zu haben. Es ist, als ob der Läufer in Einklang mit dem Rennen selbst kommen muss, um diese Harmonie zu erlangen".

Es verwundert nicht, dass Kostrubala im durchstandenen Marathonlauf "ein bedeutsames therapeutisches Ereignis" sieht und auch Marathons mit seinen Patienten lief. 1975 startete er sogar ein Laufprogramm an einer Schule in San Diego, das 23 Kinder im Ziel eines 20-km-Laufes und 6 Kinder im Ziel eines Marathonlaufes zählte. Sein Fazit: "Beinahe jedem normal-gesundem Kind kann geholfen […] werden, einen Marathon zu laufen".

 

Das Laufen sollte vor allem eines sein - Prophylaxe. "Dieses fundamentale gesundheitsfördernde Werkzeug in die Hände praktisch jeden Kindes zu geben, mag uns helfen, unseren Nummer 1-Killer [gemeint Herzinfarkt] zu eliminieren. Zusätzlich mag es auch jedem Einzelnen helfen, neue Türen zu seiner eigenen Seele zu öffnen". "Ich wundere mich, wie viele Männer und Frauen unnötigerweise sterben, nur weil sie nicht wissen, dass sie etwas tun können, um sich zu schützen". Und denen, die sich bereits - aber vielleicht allzu leistungsverstiegen - auf den läuferischen Weg gemacht hatten, gab er den Rat: "Finde deinen Stolz in deinem persönlichen Wachstum, nicht im Vergleich, in der Freude am Laufen".

Cover-Foto der Erstausgabe

Die im Mai 2013 erschienene und überarbeitete Neuausgabe des US-Lauf-Klassikers The Joy of Running, wurde von Dr. Kostrubala, mittlerweile 82 Jahre alt, um ein Nachwort zum Anschlag auf den Boston-Marathon erweitert. Auch wenn das Buch in Englisch geschrieben ist - der Autor macht es dem Leser nicht schwer. Faszinierend sind nach wie vor die Einblicke und Erkenntnisse, die er bietet und die bis heute nichts an Aktualität verloren haben. Das Buch wird exklusiv über "Amazon" vertrieben und von der "Amazon Distribution GmbH, Leipzig" auch in Deutschland gedruckt und ausgeliefert. The Joy of Running sollte in keiner Laufbibliothek fehlen!

Gelesen und beschrieben von Wolfgang W. Schüler

Thaddeus Kostrubala: The Joy of Running
Ora Press, Santa Fe, 2013. 190 S., kart., € 13,90. ISBN 978-0-9893360-0-0

„Lust am Laufen“ mit Hintergrund

 

Im Jahr 2013 erweckt ein solcher Titel Verwunderung: „Lust am Laufen. Startklar in 42 Schritten“. Ein Anfängerbuch, das wievielte? „Laufende Lust“ gab es vor Jahrzehnten schon. Mag sein, dass es auch ein Buch für Laufeinsteiger ist. Doch es ist in Wahrheit mehr, als der harmlose Titel vermuten läßt. Der akademische Grad des Verfassers, der glücklicherweise mit auf dem Einband steht, deutet darauf hin.

Professor Dr. Rainer Ningel reflektiert über das Laufen, und da er Sozialwissenschaftler ist, nutzt er dazu seine Wissenschaft. Die persönliche Lust am Laufen, die ihn seit fünfundzwanzig Jahren erfüllt, fließt ihm dabei in die Tasten. Er führt uns an den Start des Köln-Marathons und berichtet in 42 Kapitel-Einleitungen, was er und seine zwei Begleiter bei jedem Kilometer gerade fühlen und erleben.

Auf diese Weise wird den Lesern beispielhaft deutlich gemacht, daß Laufen den Menschen verändert – sowohl temporär auf dem Weg zum Ziel als auch im gesamten Lebensentwurf. Nach jedem Kilometer-Schritt durch den Köln-Marathon analysiert er und zieht Schlüsse. Nicht im mindesten hält er sich damit auf, was uns etwa vor vier Jahrzehnten ausgebildete Vereinstrainer als „richtiges“ Laufen vermitteln wollten (und mich dem damaligen Turnverein ziemlich entfremdet hat). Vielmehr zieht er Antonovskys Salutogenese (Lehre von der Gesundheit) heran und folgert: „Sportliche Betätigung wäre dann eine Art Selbstbehandlung, die dazu beiträgt, überfordernde, krankmachende und krankheitsbedingte Belastungen zu reduzieren.“

Dabei stellen sich Hindernisse in den Weg. Professor Ningel macht sie Schritt für Schritt sichtbar. Seine grundlegende These ist: Gesundheit wird sehr viel häufiger durch soziale Umstände gefährdet als durch Krankheitserreger oder organische Defekte. Solche Erkenntnisse zu vermitteln, ist wichtiger, als mit Läufern über die Form des Fuß-Auftritts zu debattieren. Einige Interviews erhellen den psychischen Hintergrund des Laufens.

Ningels Buch hilft Lauf-Einsteigern, sich zu motivieren. Aber auch Fortgeschrittene können Gewinn daraus ziehen; sie werden veranlaßt, darüber nachzudenken, was sie dazu bewegt zu laufen. Eine weitere potentielle Lesergruppe sind Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die angeregt werden, über ihr eigenes Handeln zu reflektieren. Sympathisch berührt die „liberale Grundhaltung“ des Autors, der kein richtig oder falsch kennt, sondern allein dazu verhelfen möchte, so zu laufen, dass es zur Persönlichkeit und den persönlichen Neigungen paßt. Der Autor hat das Buch durchaus mit intellektuellem Anspruch geschrieben; aber er verzichtet auf die Wissenschaftssprache. Was er schreibt, ist allgemeinverständlich. Dazu mag auch beigetragen haben, daß er, wie er in einem Interview berichtet, beim Laufen ein Diktiergerät mitgeführt hat. Bei seinem Buch sei es ihm nicht darum gegangen, eine Strategie anzubieten, die sich bewährt habe, sondern „einzelnen Menschen zu helfen, gute Gründe für sportliche Betätigung zu finden. Danach werden sie bei der Entwicklung eigener Strategien zur Umsetzung ihrer Pläne unterstützt; Strategien, die auf ihre Lebenswirklichkeit abgestimmt sind. Ich möchte Menschen nicht belehren, sondern ihnen helfen, die eigenen Ressourcen zu entdecken“.

Das Buch mit dem flachen Titel ist damit eines, das es so auf dem Gebiet des Laufens noch nicht gegeben hat.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Prof. Dr. Rainer Ningel: Lust am Laufen. Startklar in 42 Schritten. Sportwelt Verlag, 2013. Broschiert, 219 S. ISBN 978-3-941297-25-8, 12,95 €

Laufen psychotherapeutisch nutzen

Bestandsaufnahme und Anleitung

Laufen psychotherapeutisch nutzen – ein Fachbuch zwar, dem notgedrungen eine gewisse Sprödigkeit zu eigen ist; aber ein solches Buch ist zu wichtig, um allein von Fachleuten gelesen zu werden. Jahrelang ist in der Ratgeber-Literatur fast immer nur der physiologische Nutzen des Laufens betont worden. Dabei hat wohl jeder, der das Lauftraining aufgenommen hat, sehr früh die psychischen Wirkungen erfahren. Doch es ist sehr schwierig gewesen, das empirische Phänomen einer psychischen Veränderung wissenschaftlich in den Griff zu bekommen.

 

Häufig ist in der populären Presse der Begriff „Runner’s High“ verwendet worden. Das ist nicht mehr als ein bloßes Etikett. Dann glaubte man, mit der Entdeckung der Endorphine den physiologischen Schlüssel gefunden zu haben. Das Autoren-Gespann Stoll und Ziemainz, das sich seit Jahren schon seriös mit der Psychologie des Laufens befaßt, hat früh schon abgewinkt. Dem Phänomen des Hochgefühls beim Laufen ist Mihaly Csikszentmihalyi mit dem Flow am nächsten gekommen. Professor Alexander Weber hat 1988 in Bad Lippspringe begonnen, mit der Ausbildung von Lauftherapeuten verhaltenstherapeutischen Ansätzen eine praktikable Form zu geben. Professor Ulrich Bartmann ist ihm in Würzburg gefolgt.

Professor Dr. Oliver Stoll und Dr. Heiko Ziemainz verfolgen mit ihrer Bestandsaufnahme die Absicht, wissenschaftliche Erkenntnisse und empirische Ergebnisse zu prüfen und für die Praxis aufzubereiten. Denn „in unserem Läuferalltag begegnen uns immer wieder subjektive Theorien oder Mythen über die Wirkung des Laufens, die dann auch gerne populär publiziert werden“. Es wäre fatal, meinen die Autoren, „Empfehlungen über eine Interventionspraxis zu verfassen, ohne daß diese auf einer seriösen Datengrundlage basieren würden.“

In einer Analyse des Weberschen Konzeptes kommen die Autoren zu dem Schluß, daß das langsame Dauerlaufen einige psychotherapeutische Funktionen erfüllen kann, jedoch nicht zwangsläufig erfüllen muß. Unter gezielter Anleitung seien körperliche Leistungen denkbar, die dem Patienten vorher als unmöglich erschienen seien. Durch das körperliche Erfolgserlebnis könnten Selbstwert und der Glaube an sich selbst gesteigert werden.

Nach der Darstellung der Wirkungen des Ausdauerlaufs auf körperliche Parameter werden die Einflüsse auf die psychischen Parameter kritisch betrachtet. Dabei wird die populäre Annahme einer gesteigerten Sauerstoffaufnahme des Gehirns während sportlicher Aktivität zurückgewiesen. Die Autoren reduzieren die Erklärungsmodelle auf zwei; die Endocannabinoid-Hypothese und die Transiente Hypofrontalitätshypothese. Zur Erklärung muß ein Absatz samt Literaturangabe reichen.

Das zentrale Kapitel ist der aktuelle Stand der Forschung über den Ausdauerlauf als Therapie. Grundsätzlich sind die Forschungsergebnisse außer bei depressiven Erkrankungen eher schwach. Eine Übersicht über Studien zur Lauftherapie ist sicher für Fachleute hilfreich. Eine kurze Einführung in das Lauftraining ist wohl für die Nichtläufer unter den Therapeuten gedacht.

Stoll und Ziemainz wenden sich dann speziellen Problemen zu, nämlich der Lauftherapie in der praktischen Behandlung von Depressionen, Eßstörungen, Suchterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Krebserkrankungen, koronarer Herzerkrankung und chronischem Bluthochdruck. Jedes Kapitel wird mit aktuellen Studien präzise belegt. Die Lauferfahrung der beiden Autoren gewährleistet die Anpassung an bestimmte Zielgruppen. In dem Schlußkapitel über Kontraindikationen für ausdauerndes Laufen befassen sich die Autoren mit negativen Erscheinungen, die beim Lauftraining auftreten können. Laufsucht ist zwar seltener, als der häufige Gebrauch des Begriffs vermuten läßt; aber Personen, die dazu neigen, ihr Leben im Wesentlichen hoch kontrollierbar zu halten, seien gefährdet; das „Verstärkersystem“ müsse kontrolliert werden. „Solange wir uns im Bereich der therapeutischen Anwendung des Laufens bewegen, ist die Gefahr, eine Laufsucht zu entwickeln, gering.“ Auf jeden Fall sollte ein Lauftraining in regelmäßigen Abständen reflektiert werden.

Alles in allem: ein Fachbuch, das präzise auf die Bedürfnisse von Therapeuten hin geschrieben ist, konkrete Fragen des therapeutischen Laufens beantwortet und reflektierende Läufer wissenschaftlich auf dem Laufenden hält.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Oliver Stoll und Heiko Ziemainz: Laufen psychotherapeutisch nutzen. Grundlagen, Praxis, Grenzen. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, 2012. Geb., 167 S., 29,95 €. ISBN 978-3-642-05051-0

Eine muntere Weltgeschichte des Laufens

 

Wer diesen Band einem Läufer, gleich welchen Leistungsniveaus, schenken möchte, macht nichts falsch. Wir haben es bei dem Buch von Thor Gotaas in bestem Sinne mit einer Weltgeschichte des Laufens zu tun, und zwar einer fesselnden.

Zwar enthalten viele Laufbücher, wie zum Beispiel „Mythos Marathon“ von Heiner Boberski (2004), auch eine kurze Geschichte des Laufsports, aber deren wenige Informationen dürften den meisten Lesern nun bekannt sein. Wissenschaftliche Darstellungen hingegen umfassen je nach dem Arbeitsgebiet ihrer Autoren jeweils nur einen bestimmten zeitlichen oder regionalen Bereich. Was eine Gesamtschau in einem Sachbuch angeht, so kenne ich an neuerer Literatur nur das 2001 in den USA erschienene „Running through the Ages“.

Thor Gotaas: Laufen. Von den Wettkämpfen der Antike zu den Städtemarathons von heute

Der norwegische Schriftsteller Thor Gotaas hat sich mit seinem 2008 in Oslo erschienenem Titel „Løping: En verdenshistorie“ eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Auch er versichert, es sei unmöglich eine komplette Version der Weltgeschichte des Laufens zu schreiben. Für die Zeit nach dem Jahr 1800 müsse man notgedrungen eine Auswahl treffen. Dem Buch merke man sicher an, daß es von einem Europäer geschrieben sei, der die Welt mit skandinavischen Augen betrachte. Es sei nichts anderes als nur eine Version der Weltgeschichte des Laufens, nämlich die des Autors.

Doch keine Bange, die Auswahl ist umfassend genug. In der Fülle von Material, für die das Quellenverzeichnis und das Personenregister kennzeichnend sind, behält Gotaas den roten Faden. Die Gliederung in zahlreiche thematische Kapitel sorgt für Ordnung. Er nimmt als Einstieg die Stafettenläufer des Inka-Reiches und die Botenläufer Mitteleuropas vom 15. bis zum 19.Jahrhundert und führt uns zu Sumerern und Ägyptern, bevor er sich mit dem Laufen bei den Griechen befaßt. Selbst bei diesem faktenreichen Kapitel beläßt es der Autor nicht dabei, Informationen aneinanderzureihen, sondern er erzählt, was die Quellen hergeben. Die Lektüre wird damit zu einem Vergnügen. Auf die im Hinblick auf das Laufen karge römische Zeit folgt eine Bewertung der Lauf-Metaphern im Alten Testament.

Besonderes Interesse werden die Kapitel über das Laufen in China, überwiegend mit militärischem Hintergrund, in Indien, wo viele mythische Gestalten mit dem Laufen verbunden sind, und über die rituellen Ultra-Läufe der Mönche in Tibet finden. Beginn der Zeitmessung, Entwicklung der Damenläufe und die Nacktläufe der Adamiter bilden ein weiteres Kapitel. Französische Aufklärung (Rousseau) und deutsche Gesundheitslehre (GutsMuths und Jahn) faßt der Autor auf wenigen Seiten zusammen. Versteht sich, daß er Mensen Ernst und Captain Barclay porträtiert. Mit dem Laufen der Indianer stellt er dar, daß eben nicht nur die Tarahumara gelaufen sind. Das Kapitel über Deerfoot (Hirschfuß) benützt er dazu, Hochstapler und Tiefstapler im Laufen zu schildern. Dann, etwa auf Seite 150 der 400 Seiten, hat Gootas das Laufen in der Moderne erreicht. Eine Anzahl von biographischen Darstellungen sind die Mosaiksteine eines Gesamtkunstwerks, das uns der Autor vor Augen führt. Auch hier wieder Informationen, die wohl selbst für aufmerksame Sportteil-Leser mit gutem Gedächtnis neu sind.

Ein Schönheitsfehler der deutschen Ausgabe ist, daß der Übersetzer, Frank Zuber, bei aller inhaltlichen Korrektheit (wobei ich nur mit der englischen Fassung vergleichen konnte) doch den Nachlässigkeiten der Alltagssprache erlegen ist: Von einem Sportbuch erwartet man, daß Olympische Spiele nicht als Olympiade bezeichnet werden (Olympiade ist nur die Zeitperiode zwischen zwei Olympischen Spielen). Die falsche Schreibweise von Prof. Reindell (im Buch nur mit einem L) und Woldemar Gerschler (im Buch Waldemar) ist verständlich, wäre aber vermeidbar gewesen. „Nichtsdestotrotz“ ist ein linguistischer Scherz – nach meiner Erinnerung aus den siebziger Jahren –, der es zwar in die Wörterbücher geschafft hat, aber nichtsdestoweniger ein Fremdkörper bleibt. Über falsche Infinitive mit „zu“ und Kasusfehler mag man hinweglesen.

Diese Anmerkung soll den Wert dieser Lauf- und Läufergeschichte von enzyklopädischem Charakter nicht mindern. Die Arbeit, die dahinter steckt, erklärt, weshalb das Buch trotz der Fülle an Neuerscheinungen auf dem Gebiet des Laufsports unvergleichlich ist.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Thor Gotaas: Laufen. Von den Wettkämpfen der Antike zu den Städtemarathons von heute. Aus dem Norwegischen von Franz Zuber. Delius Klasing Bielefeld, 2012. Geb., 400 Seiten, 16 SW-Fotos. ISBN 978-3-7688-3523-7. 19,90 € (D)

Ein Laufbuch für alle – „Laufbuch“

 

Das Konzept des „Laufbuches“ besteht darin, daß es auf den ersten Blick keines hat. Es enthält Hunderte unverbundener Informationen, die gewaltsam, aber nicht ohne Witz zusammengefügt sind. Das muß eine Heidenarbeit gewesen sein! Thema: Alles, was auch nur entfernt mit dem Laufen zusammenhängt. Der schlichte, für beinahe jedes Laufbuch passende Titel ist daher gerechtfertigt.

Die drei Autoren kennen sich aus. Es sind die beiden „Runner’s-World“-Redakteure Martin Grüning und Urs Weber, die seit Jahren die Läuferthemen ihrer Zeitschrift handhaben, und Jochen Temsch, Reiseredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, einer der beiden Autoren der RW-Serie „Paarlauf“, der den Umgang mit Informationsmasse schon im „Reisebuch“ der Edition seiner Tageszeitung praktiziert hat.

Alle drei können schreiben, auch wenn es sich um staubtrockene Fakten handelt. Das allein macht die Lektüre der 400 Seiten unterhaltsam und vergnüglich.

Allerdings sind manche Hinweise und Erklärungen nicht ernst zu nehmen und haben wohl allein des Unterhaltungswertes wegen in der seriösen Aufbereitung Platz gefunden, zum Beispiel wie man einen Marathon ohne Vorbereitung mit Betrug beendet. Oder wie man Backwaren in einer Tüte verstaut, wenn man damit aus einer Bäckerei nach Hause laufen will. Oder wie man einen Kampfhund wiederbelebt. Wenn die drei Läufer eine Frage zwar stellen, sie aber nicht ausreichend beantworten konnten, haben sie Spezialisten, darunter auch einige Weltklasseläufer, zu Rate gezogen.

Dennoch, trotz einem Spaß hier und da ist der Band randvoll mit Nützlichem gefüllt und haben die Informationen und Ratschläge hohe Substanz, und zwar sowohl für Beginner als auch für Erfahrene, weil sie auf Kompetenz beruhen.

Der Band trägt metaphorische Kapitel-Überschriften: Kopf voraus, Arme hoch, Bauch weg, Hüfte schwingen, Beine locker und Fuß fassen. Darunter sind zusammenfassende Informations-Überschriften. Da dies jedoch bei der Suche zur Orientierung bei weitem nicht ausreicht, stehen im Text außer veranschaulichenden Ergänzungen in kleinerem Schriftgrad Verweise auf ähnliche Informationen und ist ein ausführliches Register beigegeben.

Kritisches? Nun ja, zum Tauchen werden keine Sauerstoff-Flaschen, sondern Preßluftflaschen verwendet. Lance Armstrong macht sich wohl nach der vernichtenden Doping-Enthüllung in einem solchen Band nicht mehr so gut. Den Rekord der weltweit meisten Marathone hat Horst Preisler an Christian Hottas abgeben müssen. Das Korrekturprogramm eines Computers prüft zwar die Schreibweise, kann aber nicht entscheiden, ob das Wort richtig gewählt ist (konkret: ihm statt im und der falsche Gebrauch der Anredeform Sie). Bei der Masse des Informationsmaterials verzeihliche Fehler.

Wer immer als Läufer den Band kauft, – er wird hilfreiche Information und auf jeden Fall Interessantes finden. Ein Band, den man ohne Sinn-Verlust auch in öffentlichen Verkehrsmitteln mit mehrmaligem Umsteigen lesen kann. Versteht sich, daß sich ein Läufer, eine Läuferin mit Sicherheit auch freuen wird, wenn er/sie das „Laufbuch“ geschenkt bekommt.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Martin Grüning, Jochen Temsch, Urs Weber: Laufbuch. Süddeutsche Zeitung Edition, 2012. Geb., 400 S. ISBN 978-3-86615-974-7, 19,90 €

Mit Sprengstoff in den Schuhen

Ein neuer Marathon-Thriller: „New York Run“

 

Ich bin kein Krimi- oder Thriller-Leser. Diesen habe ich wegen des Titels gelesen: „New York Run“. Er ist die eigenständige Fortsetzung des „Boston Run“. Diesen ersten „Marathon-Thriller“ hatte der Autor mangels anderer Möglichkeiten als Book on demand erscheinen lassen. Im Jahr 2010 hat ihn der Sportwelt-Verlag übernommen, ein kleiner, aber feiner Verlag, der sich rühmt, Sportbücher für Anspruchsvolle zu verlegen. Schon das mag ein Indiz dafür sein, daß sich der Autor, Frank Lauenroth, ein studierter Maschinenbauer aus Sachsen-Anhalt und nun Software-Entwickler in Hamburg, heute als etabliert betrachten darf.

Ein Marathon als Hintergrund eines auf Spannung angelegten Romans, eines „Thrillers“ eben, das geschieht in dieser Kategorie nicht zum erstenmal. Die Aufgabe, Spannung zu erzeugen, erfüllt der Autor durchaus. Es war zwar nicht so, daß ich die Lektüre nicht unterbrechen konnte, aber ich habe mich unterhalten gefühlt.

Die Verschränkung der dramatischen Story mit dem Event des New York City-Marathons läßt jedoch zu wünschen übrig; ein Läufer wie ich kommt zu dem Schluß: Sie findet nicht statt. Die Idee, zwei Läufer mit Sprengstoff in den Schuhen mit Disk-System laufen zu lassen, wobei jede Unterbrechung des Laufens zur Explosion führen muß, mag originell wirken, hat mich jedoch, den nörgelnden Realisten, nicht überzeugt. Was mich aber noch mehr gestört hat, ist, daß die beiden Läufer wie im „Boston-Run“ gedopt sind, und zwar auf so neuartige Weise, daß sie gewinnen müssen. Frank Lauenroth entfernt sich hier nicht nur von der Realität, was in einem Thriller erlaubt sein mag, er entfernt sich auch von der Ethik, vorsichtig gesagt, der meisten Läufer. Wenn Doping zum Sujet eines Romans wird, dann muß es literarisch auch bearbeitet sein. Das ist hier nicht der Fall.

Die Handlung, die im Interesse der potentiellen Leser nicht nacherzählt werden soll, ist sehr komplex; ich habe ihr verschiedentlich nicht folgen können, was aber sicher an mir, dem ungeübten Krimi- und Thriller-Leser, liegt. Literarische Ansprüche habe ich an diese Literaturgattung nicht, aber die Sprach-Fehler sollen dennoch registriert sein, denn ein Autor muß sein Handwerkszeug beherrschen: „Brauchen“ erfordert nach wie vor den Infinitiv mit zu, die Form von „vergelten“ in der dritten Person Einzahl lautet „vergilt“, nicht vergeltet; „scheinbar“ ist, wenn etwas sich nicht wirklich so verhält, wenn es dagegen nur so scheint, heißt es: anscheinend.

„New York Run“ würde ich Läufern nicht empfehlen, wenn sie über den New York City-Marathon lesen möchten, sondern nur dann, wenn sie sich mit einer spannenden Story entspannen möchten.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Frank Lauenroth: New York Run. Der zweite Marathon-Thriller. Sportwelt Verlag, Taschenbuch, 273 Seiten. 9,95 €. ISBN 978-3-941297-19-7

Begegnungen mit Alexander Weber

 

Umschlagbild und Untertitel lassen keinen Zweifel, wem die "Laufenden Begegnungen" gelten: Prof. Dr. rer. nat. Alexander Weber, der am 25. Juni 75 Jahre alt geworden ist. Ein Geburtstag dauert einen Tag; dies ist der Versuch, einem flüchtigen Ereignis Dauer zu verleihen. Der Sozialpädagoge Wolfgang Schüler hat Dozenten des Deutschen Lauftherapiezentrums gebeten, sich in einem Beitrag ganz individuell Alexander Weber zu nähern.

Martin Krüger hält auf einem Lauf Rückschau auf die Vorgeschichte des DLZ. Der Orthopäde Richard Ammenwerth schildert die Gründung des Lauftherapiezentrums 1988 und die drei Jahre später beginnende Ausbildung von Lauftherapeuten.

Der Laufschuh-Experte Frank Czioska würdigt Webers Tätigkeit als Schuhtester, der bereits in den siebziger Jahren ein seriöses Schuhtest-System aufgebaut hat und unbestechlich Laufschuhe für das Laufmagazin "Spiridon" beurteilt. Johannes Tack enthüllt, daß Alexander Weber außer dem Laufen ein weiteres Steckenpferd reitet, das Singen; er hat bereits während seines Studiums Gesangsunterricht genommen und singt seit fast zehn Jahren in dem Musikensemble "Die Herren Vocalisten". Arwed Bonnemann findet, daß sich das Persönlichkeitsbild Webers nach den Regeln, die Glücksforscher empfehlen, zur Lebenskunst rundet. Klaus Richter erklärt vor dem Hintergrund seiner zwanzigjährigen Tätigkeit für das DLZ witzig den Wandel eines leistungsambitionierten Läufers zum Gesundheitsläufer. Barthel Schumacher beschreibt biographisch, was ihm das Laufen und die Lauftherapie für geistig Behinderte bedeuten. Rüdiger Carlberg beschreibt seinen Weg als Läufer, der ihn schließlich zu Alexander Weber führte und, wie er schreibt, sein Leben veränderte. Wolfgang Schüler, der Herausgeber, hatte schon als Kind begonnen, leistungsbetont zu laufen, konnte seine Erfahrungen beruflich in Laufpädagogik umsetzen und fand schließlich zur Laufforschung. Jochen Grell fordert in seinem Feuilleton dazu auf, Selbstbehinderungen aufzugeben.

Auf diese Weise ist, zusammen mit Rückblick und Kurzporträts der Autoren, ein Buch zustandegekommen, das um einen Mittelpunkt kreist, ohne daß dieser auftaucht: Alexander Weber. Der Herausgeber definiert "Laufende Begegnungen" nicht als Sachbuch, sondern als "Lesebuch": "Die Auseinandersetzung wird literarisch geführt. Dabei kommt vielerlei zum Ausdruck, mithin die Berührtheit der Verfasser, ihre Motive und Motivationsdynamiken, ihre Erfahrungen und Interpretationen, ihre Reflexionen über tiefgreifende Verbindungen von Laufen und Leben, nicht zuletzt ihre Selbstdistanz und ihr Humor."

Sicher, als Allerweltsläufer, den nichts anderes als seine nächste Marathonzeit interessiert, muß man ein solches Buch nicht gelesen haben. Wer jedoch einen Hauch von der psychologischen Dimension des Laufens empfunden hat, wird berührt sein von der Wärme der Auseinandersetzung mit dem Werk Professor Webers. Viele kleine Informationen bringen auch Außenstehenden das Deutsche Lauftherapiezentrum näher. Der Herausgeber hat nicht bloß einen Freundschaftserweis zum Geburtstag veröffentlicht, sondern vor allem auch eine wichtige Facette des Laufens - die wichtigste? - menschlich gemacht.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Wolfgang W. Schüler (Hrsg.): Laufende Begegnungen. Ein Lesebuch zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Alfred Weber. Book on demand Pro busineß GmbH, 2012. Geb., 264 S. 14,90 €. ISBN 978-3-86386-239-8

Faszination Extremsport

Die wenigsten der in diesem Buch porträtierten Sportler sind als ausschließliche Ultraläufer zu bezeichnen. Dennoch, "Bis ans Limit und darüber hinaus" ist ein motivierendes Buch speziell für Ultraläufer und diejenigen, die sich auf einen Ultralauf vorbereiten, aber im Grunde für alle, die sich ein zunächst unmöglich erscheinendes Ziel gesetzt haben.

 

Die Marathonläuferin Iris Hadbawnik hatte im Jahr 2004 einen Langstrecken-Triathlon in Frankfurt am Main beobachtet. Wie Tausende anderer Zuschauer bangte sie um den letzten Schwimmer, der Mühe hatte, das Ende von 3,8 Kilometern innerhalb der vorgeschriebenen Zeit von 2:10 Stunden zu erreichen. Er schaffte es auf die letzte Sekunde, konnte für 180 Kilometer aufs Rad steigen und danach einen Marathon laufen - Zielschluß nach 15 Stunden. Der letzte Schwimmer war 74 Jahre alt. Dessen Kampf begeisterte die Läuferin Iris Hadbawnik so sehr, daß sie im nächsten Jahr selbst an dem Wettbewerb teilnehmen wollte. Sie ist zur Triathletin geworden und fand später ihr Buch-Thema.

Zwei Fragen stellte sie: Was ist Extrem-Sport? Warum macht man das? Fragen, die auch im Ausdauer-Laufsport gestellt werden. Eine eindeutige Auskunft kann auch die Autorin nicht geben. Sie fand Sportler, die ihr letztes Hemd dafür geben würden, um sich als "extrem" zu vermarkten, und sie sprach mit Hochleistungssportlern, die es ablehnten, mit "Extremsport" in Verbindung gebracht zu werden. Kommt uns das nicht bekannt vor? Es bleibe nur die Erkenntnis, schreibt sie, daß die Welt einem ständigen Wandel unterliege. "Aus Hobbysportlern werden Leistungssportler. Aus Leistungssportlern Extremsportler. Eine abschließende Definition, was genau als Extremsport zu verstehen ist, wird es daher an dieser Stelle nicht geben können. Denn: Was heute extrem ist, kann morgen schon zur Normalität gehören."

Nach ihrer Einleitung, die den Fragenkomplex genau auf den Punkt bringt, wendet sie sich zehn sogenannten Extremsportlern zu. Da ist die seit ihrem 20. Lebensjahr in Freiburg i. B. lebende Amerikanerin Brigid Wefelnberg mit einer Vorliebe für ungewöhnliche Ultramarathone. Sie hat es nicht darauf angelegt, Bestleistungen zu erreichen; sie ist zur Abenteuer-Läuferin geworden, weil sie die Herausforderung und das Milieu interessierten, zum Beispiel beim Marathon des Sables. An ihm war Guido Kunze, der mit dem Halbmarathon und dem Marathon am Rennsteig begonnen hatte, gescheitert. Doch er gab nicht auf und startete im Jahr darauf abermals. "Dieser Zusammenbruch im Jahr zuvor hat mir mehr an Erfahrung gebracht als alles andere." Guide Kunze bewältigte den Grand Raid de la Réunion, den Ultra Trail du Mont Blanc und den Bad Water Ultramarathon. Da in seinem Trainingsplan das Radfahren schon immer eine große Rolle gespielt hatte, startete er auch bei dem Race across America, einem Radrennen quer durch die USA in der Maximalzeit von zwölf Tagen. Er schaffte es, trotz einer Angina und üblen Wetterbedingungen, in zehn Tagen und 37 Minuten. Im Jahr 2009 unterbot er den Rekord der Durchquerung Australiens mit dem Fahrrad. Seine Leistungen vollbringt er trotz der Inanspruchnahme in seinem Sportladen und der Sorge um die Familie.

Ein weiterer Gesprächspartner ist Dr. Beat Knechtle gewesen, der Allgemeinarzt aus St. Gallen, den viele Läufer durch seine Untersuchungen in Biel kennengelernt haben. Knechtle ist einer der erfolgreichsten Ultratriathleten. Ein Ultratriathlon umfaßt gewöhnlich die dreifache Ironman-Distanz: 11,4 Kilometer Schwimmen im Schwimmbad, 540 Kilometer Radfahren und 126,62 Kilometer Laufen, den dreifachen Marathon also. In seinem ersten Decatriathlon - 38 Kilometer Schwimmen, 1800 Kilometer Radfahren und 422 Kilometer Laufen - errang er einen neuen Schweizer Rekord und die WM-Bronzemedaille. Über sein Zeitmanagement sagte er, er fokussiere sich auf das Wesentliche. Das ist der Sport, sein Arztberuf und die Wissenschaft; vor drei Jahren hat er seine Habilitation abgeschlossen. Knechtle ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Für Frank Hülsemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sporthochschule in Köln, war die Radfahrt über die Seidenstraße die entscheidende Tour in seinem Leben; zusammen mit zwei Sportfreunden legte er 12.800 Kilometer von China bis nach Istanbul in vier Monaten zurück. Andere seiner zahlreichen Projekte waren eine Fußwanderung von 600 Kilometern durch die Atacam-Wüste, die trockenste Wüste der Welt, oder die Organisation einer "Inka-Staffel" auf den historischen Spuren der Inka-Botenläufer.

Bevor es die Läufer, die Triathleten und die Radfahrer in den Extrembereich geschafft hatten, waren es die Bergsteiger, die - schon wegen ihres Risikos - im Blickpunkt des Medienpublikums standen. Einer von ihnen, der einzige noch lebende Alpinist, der zwei Achttausender als erster bestiegen hat, ist Kurt Diemberger, den die Autorin als lebende Legende bezeichnet. Während Diemberger in Kärnten die Berge vor seiner Nase hatte, stammt Inis Papert, eine der erfolgreichsten Extremkletterinnen der Welt, aus Bad Düben in Sachsen. Auch sie, als Mutter eines zehnjährigen Sohnes, bietet trotz ihren Kletterreisen ein Muster für überlegte Zeiteinteilung.

Hannes Kraft praktiziert einen Sport, von dem wohl die meisten Leser einschließlich des Rezensenten noch nie etwas gehört haben; er ist B.A.S.E..-Jumper. B.A.S.E. steht für Buildings, Antennas (Antennen), Spans (Brücken) und Earth (Felsen). Ein Anziehungspunkt für Springer aus aller Welt ist das Lauterbrunnental, durch das beim Jungfrau-Marathon gelaufen wird. Seit Ende der neunziger Jahre wird auch mit einem "Wingsuit" gesprungen, einem Flügelanzug, bei dem Stoff-Flächen zwischen Armen und Beinen für Auftrieb sorgen.

Freya Hoffmeister hatte eine Entwicklung als Turnerin, dann als Bodybuilderin und im Fallschirmspringen hinter sich, bis sie, weil sie ihres Kindes wegen einen "ruhigeren" Sport suchte, zum Paddeln und schließlich zum Seekajakfahren fand. In diesen acht Jahren kam sie vom Goldmedaillen-Sammeln zu Insel-Umrundungen und schließlich der Umrundung Australiens in 332 Tagen. Tom Sietas hat es in die Tiefe der Meere gezogen, und zwar als Apnoetaucher, das heißt, er hält die Luft an. Er beschreibt dies als "Umstellung auf die innere Atmung". Auf diese Weise konnte er - ohne Preßluftflasche - als erster Mensch über zehn Minuten unter Wasser bleiben. Vom Tieftauchen hat er sich mehr und mehr dem Strecken- und dem Zeittauchen zugewandt.

Den Abschluß der zehn Sportler-Porträts bildet der "Ultraschlett". Sein erster 100-Kilometer-Lauf in Unna, im zarten Alter von 19 Jahren, ist der Beginn eines "Tanzes auf allen Ausdauerhochzeiten" gewesen, worunter außer Fallschirmabsprüngen Ultramarathone samt Badwater-Lauf, Triathlone bis zum Decatriathlon, Wüstendurchquerungen, Bergbesteigungen, Trekking-Touren, Multi-Day-Rennen, Treppenläufe, Radreisen zu verstehen sind. Man muß die Fülle der Aufgaben, die sich Stefan Schlett seit dreißig Jahren gestellt hat, einfach nachlesen. Um Rekorde ging es ihm dabei nicht, Sensationsgier ist ihm fremd. Während die meisten Menschen ihr Leben träumten, lebe er seine Träume, philosophiert er.

Da sind wir bei einem Vorzug dieses Buches. Iris Hadbawnik berichtet sachlich, aber das Ergebnis ihrer Recherchen hat Tiefe; sie versucht, den menschlichen Hintergrund all der phänomenalen Leistungen zu ergründen. Daher ist ihr Buch keineswegs nur eine unterhaltende Lektüre für einen Sommerabend. Auch wenn man selbst den Extremsportlern nicht folgen möchte, kann man aus der Lektüre Gewinn schöpfen.

Die Autorin versäumt nicht, in dem Kapitel "Wettkämpfe" Anregungen zu geben, indem sie konzentriert über einige beispielhafte Veranstaltungen informiert, nämlich über den Marathon des Sables, den Badwater-Ultramarathon, die MTB Race Crocodile Trophy, das RAAM Race Across America, das Zürichsee-Schwimmen, den Norseman Xtreme, den Decatriathlon in Mexiko, das Ice Climbing Festival in Kandersteg, die Berliner Meisterschaft im Apnoetauchen und das Seekajak-Rennen Sea Challenge Fyn.

Hubert Schwarz, der als erster Deutscher das Race Across America bestritten hat und nun als Vortragsredner andere Menschen zu motivieren versucht, schreibt in seinem Vorwort: "Das Außergewöhnliche definiert sich für mein Empfinden nicht über eine Norm oder Superlative, sondern vielmehr über die Bereitschaft, seine eigenen Grenzen zu überschreiten... Ich kann nur jedem dazu raten, sich selbst und das Leben unter einem völlig anderen Aspekt wahrzunehmen. Erfolgreich wird man, indem man den ersten Schritt in die richtige Richtung wagt." Recht hat er. Iris Hadbawnik liefert mit ihrem Buch die Anschauung.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Iris Hadbawnik: Bis ans Limit und darüber hinaus. Faszination Extremsport. Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 2011. Broschiert, 224 Seiten, illustriert. 19,90 €. ISBN 978-3-89533-765-9

 

Gesund bis ins hohe Alter

„Fit mit 100“ – die Älteren in der Laufszene wird dieser Buchtitel an Ernst van Aakens „Programmiert für 100 Lebensjahre“ erinnern. Der Titel jener 1974 erschienenen Anthologie von Aufsätzen bedeutete damals eine Provokation, denn ein Lebensalter von 100 Jahren erreichten nur relativ wenige Menschen. „Programmiert für 100 Lebensjahre“ war ein Versprechen; der Schlüssel zur Einlösung war das Laufen. Wir wissen heute, daß zur Lebensverlängerung Bewegung allein nicht genügt. „Fit mit 100“ setzt voraus, daß viele von uns hundert Jahre alt werden; etwa 6 000 in Deutschland sind es bereits. Von den in der Gegenwart Geborenen hat in Deutschland sogar etwa die Hälfte die Chance, tatsächlich dieses Alter zu erreichen.

Doch wie werden wir alt? Herz- und Kreislaufkrankheiten sind in den Industriegesellschaften verbreitet. Die Medizin kann uns noch immer nicht vor Krebs und Demenz bewahren. Die wenigsten Ärzte wissen nicht einmal, sich selbst gesund zu erhalten; sie sind für die Behandlung von Krankheiten ausgebildet. Jedoch, es gibt Landstriche in der Welt, in denen gesunde Langlebigkeit die Regel ist, bei den Hunza im Karakorum-Gebirge (Pakistan) beispielsweise. Auf sie bezieht sich der Autor von „Fit mit 100“, der Medizinjournalist Klaus Oberbeil, vielfach.

Sein neues Buch beschreibt allgemeinverständlich die biologischen Vorgänge in unserem Körper. Davon leitet er ab, wie sich Alterungsvorgänge beeinflussen lassen, nämlich durch die Vermeidung von Streß (gemeint ist Disstreß), von Fehlernährung, von zu wenig Bewegung und von zu wenig Schlaf. Das Ergebnis ist ein Plädoyer für eine gesündere Lebensweise, insbesondere für gesunde, naturbelassene Ernährung.

So thematisch umfassend und wissenschaftlich exakt die aktuellen Erkenntnisse der Medizin auch wiedergegeben sind, – die Umsetzung kommt nur sehr kurz weg. Zwar weist Oberbeil in seiner Darstellung immer wieder auf die schlichten Folgerungen für die Ernährung hin, aber die Leser werden danach allein gelassen; Oberbeil beschränkt sich auf „10 kerngesunde Frühstücksideen“, zu denen er Tofu-Würstchen zählt, die Aufzählung von 10 „Fit&Schlank-Snacks“ und die pure Auflistung von 35 Gemüsearten und Salaten sowie von Hülsenfrüchten und Pilzen. Auch wenn der Autor in anderen seiner zahlreichen und erfolgreichen Bücher in dieser Beziehung konkret geworden ist, – in „Fit mit 100“ fehlt der praktische Teil. Das verwundert um so mehr, als von den 144 Seiten des Buchs 29 Seiten auf größtenteils belanglose Bilder und 5 Seiten auf das breitgetretene Inhaltsverzeichnis entfallen und das Buchmanuskript in 10 Punkt sowie 8 Punkt Durchschuß gesetzt ist. Das bedeutet, bei normalem Satz wären ohne Bilder etwa 66 Seiten zusammengekommen. Wer einen Preis auf 15,99 € festlegt, hält seine Leser offenbar für dumm. Unverständlich bleibt, weshalb der Verlag den Band nicht mit einem aktuellen Bild des 76jährigen Autors ausgestattet hat.

Das positive Ergebnis der Lektüre: Dem Autor gelingt es, auf leicht eingängige, unterhaltsame Art und doch wissenschaftlich einwandfrei die Voraussetzungen eines gesunden Alterungsprozesses bis zu einem hohen Lebensalter herauszuarbeiten. Unterkalorische gesunde Ernährung, körperlicher Streß (gemeint ist Eustreß), Sauerstoff (der praktische Ansatz Ernst van Aakens und Manfred von Ardennes) und erholsamer Schlaf sind sein Rezept. Sogenannte Naturvölker mit gesunden Hochaltrigen dienen der Veranschaulichung.

Doch wenn man bei Wikipedia nachliest, wie der „Hunza-Mythos“ entstanden ist, wird man nachdenklich. Der schottische Arzt Robert McCarrison (1878 – 1960), der als britischer Amtsarzt im nördlichen Grenzgebiet von Kaschmir den Gesundheitszustand der Bevölkerung kontrollieren mußte, hatte den Hunza einen außergewöhnlich guten Gesundheitszustand attestiert. Bekannt wurde er durch seine Studien mit verschiedenen Kostformen bei Ratten; die britische Ernährung schnitt dabei schlecht ab. Dr. rer. oec. Ralph Bircher, der Sohn Maximilian Bircher-Benners, veröffentlichte 1942 ein Buch „Hunsa. Das Volk, das keine Krankheit kennt“; doch eigene Studien hat er offenbar nicht betrieben. Die Ärztin Irene von Unruh dagegen reiste 1954 selbst zu den Hunza und schrieb „Traumland Hunza“, das noch heute antiquarisch angeboten wird. In den sechziger Jahren gelangte ein Buch des Amerikaners Jerome Irving Cohen aus dem Jahr 1947, „The Healthy Hunza“, zu später Popularität. Japanische Mediziner haben im Gegensatz dazu wenig Hinweise auf eine Langlebigkeit der Menschen dieses Gebiets gefunden. Die Realität – fast jedes dritte Kind stirbt hier im Alter bis zu zehn Jahren – hat dem Mythos nichts anhaben können.

Es entsteht der Verdacht, daß auch Oberbeil, der immer wieder amerikanische Wissenschaftler zitiert, der insbesondere in den USA gepflegten Hunza-Vermarktung erlegen ist; nach seiner Meinung sind Diabetes, Krebs oder Asthma den Hunza unbekannt. Oberbeils gesundheitspraktische Folgerungen werden damit nicht hinfällig; nur als Kronzeugen taugen die Hunza (oder nach Wikipedia richtig: Hunzucuc) offenbar nicht.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Klaus Oberbeil: Fit mit 100. Jung bleiben, länger leben. systemed, 2012, kart., 144 S. 14,99 €. ISBN 978-3-927372-93-1

Ein hoch aktuelles Grundlagenwerk: Laufen!

Die Frage erscheint berechtigt: Haben wir nicht schon genügend generalisierende Laufbücher, und noch dazu eines mit dem wohl bisher 23 Mal gebrauchten schlichten Titel „Laufen!“, wenngleich diesmal mit Ausrufungszeichen? Es gibt mehrere Gründe, die Schwelle des infolge des Überangebots entstandenen Desinteresses zu überwinden.

 

Da sind vor allem einmal die Autoren: Dr. med. Dr. med. dent. Lutz Aderhold und Dr. Stefan Weigelt. Aderhold, 59 Jahre alt, hat in seiner läuferischen Vita eine 100-km-Zeit von 6:46:03 stehen. Insgesamt ist er neunmal unter 7 Stunden geblieben und hat zweimal den Europacup der Supermarathone gewonnen. Erst in der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV), dann in dem Verein für Ultramarathon (VFUM) hat er eine Funktion übernommen; seit Jahren hat er sich auf der Website des VFUM zu laufmedizinischen Fragen aktuell geäußert. Stefan Weigelt, 53 Jahre alt, Trainingswissenschaftler und Leistungsdiagnostiker am Olympiastützpunkt Westfalen, hat eine persönliche 100-km-Bestzeit von 7:53:54. Seit 2010 ist er der Ultramarathon-Berater des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

Die wenigsten Autoren von Laufanleitungsbüchern sind jemals in ihrem Leben eine Ultrastrecke gelaufen. Aderholt und Weigelt hingegen haben eine leistungssportliche Kompetenz, mit der sie das gesamte Gebiet des Langstreckenlaufs auch empirisch abdecken können. Der Untertitel „...durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer“ signalisiert diesen Anspruch.

Der 412 Seiten starke Band enthält im Grunde mehrere Buchthemen. Darin sind nicht einmal die Trainingspläne enthalten; sie kann man sich von der Verlags-Website herunterladen. Die Autoren breiten ihr medizinisches und trainingswissenschaftliches Wissen konzentriert, ohne jegliche Redundanz, sachlich und umfassend aus. Für die Leser bedeutet das, daß auch sie gefordert sind. Es ist kein Buch, das man sich an ein, zwei Abenden einverleibt, dagegen eines, in dem man vielfach nachschlagen kann. Auch das umfangreiche Literaturverzeichnis steht im Internet. Verlegerisch ist hier also mit der Medien-Verbindung ein interessanter Weg beschritten, den man beobachten muß. Die typographische Hervorhebung von Zusammenfassungen, Kernsätzen und Tips erleichtert den praktischen Gebrauch.

Sowohl die Äußerungen zu speziellen Fragen als auch die Literatur-Belege zeugen von der hohen Aktualität des Bandes. Ich habe keine läuferische Frage gefunden, zu der sich nicht eine fundierte Antwort fände. Wo eine eindeutige Antwort wissenschaftlich oder empirisch noch nicht möglich ist, wird dies ausdrücklich gesagt. Der Seriosität des Bandes entsprechend, wird auf bloße Schmuckbilder und aufgeblasene Visualisierungen verzichtet; die 60 Abbildungen, dazu 16 Tabellen erfüllen jeweils eine informierende Funktion.

Bereits das Inhaltsverzeichnis belegt, wie weit sich der Bogen spannt. Dabei wird immer der Bezug zur Praxis hergestellt. Mit der Frage der Motivation – vom Wohlstandssyndrom zur Fitness – beginnt der Band. Das Kapitel Sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung soll den Blick für Risiken schärfen. Auf 28 Seiten wird die Physiologie des Ausdauersports Laufen dargestellt. Die Ausrüstung bis hin zum Baby-Jogger wird beschrieben. 106 Seiten sind dem Training gewidmet; Kinder, Frauen und Senioren werden spezifisch angesprochen. Ein Kapitel befaßt sich mit regenerativen Maßnahmen, ein anderes mit der Teilnahme an Wettkämpfen; es ist die erste allgemeine Laufanleitung in deutscher Sprache, die den Ultralauf ausführlich und praxisbezogen darstellt. Die Sportpsychologie, die um so mehr eine Rolle spielt, je länger die Strecke ist, hinterfragt auch Motivationsprobleme. Läuferverletzungen und -beschwerden nehmen 105 Seiten in Anspruch; weder Magen-Darm-Beschwerden noch allergische Reaktionen werden ausgelassen. Ein Kapitel gilt der Prävention. Ausführlich wird laufbezogen die Ernährung dargestellt. Ein eigenes Kapitel befaßt sich mit dem Doping, auch dem im Alltag. Die Link-Sammlung deutet die organisatorische Struktur des Laufsports an.

Zwar ist das Buchkonzept umfassend angelegt, aber ich würde den Band nicht gerade jemandem in die Hand drücken, der mit dem Lauftraining erst beginnen will oder soll. Obwohl medizinische und trainingswissenschaftliche Fachausdrücke jeweils erklärt sind – auch in einem Glossar im Internet –, könnte Anfängern Laufen allzu kompliziert erscheinen; für sie ist der Lauftreff zum Einstieg besser geeignet. Doch für diejenigen Läufer, die mehr wissen und sich aus kompetenter Hand informieren wollen, ist der Band hervorragend geeignet. Auch Ärzte und ausgebildete Trainer werden vermutlich nicht enttäuscht werden. Mein Respekt vor der sportlichen Leistung der Autoren weitet sich nun auf die intellektuelle Leistung aus.

Gelesen und besprochen von Werner Sonntag

Dr. Dr. Lutz Aderhold und Dr. Stefan Weigelt: Laufen! ... durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Stephan Starischka. Zusätzlich zum Download: alle Trainingspläne – von 10 bis 100 km.
2012, kart., 412 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen.
Schattauer GmbH, 29,95 € (D), 30,80 € (A). ISBN 978-3-7945-2840-0
Mehr dazu ... Schattauer GmbH – Verlag für Medizin und Naturwissenschaften

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