Bitteschön - wie schafft man 100 km in 7:32 Stunden?

Sehr geehrte Constanze & Walter Wagner,

ein Sportkamerad hat mir Ihren Lauf-Bericht über den Berlin Marathon zukommen lassen, ich habe mich sehr gefreut und war auch überrascht, woher Sie die Infos über mich hatten.

Wahnsinnig gefreut habe ich mich, dass ich bei meinem Marathondebüt in eigenständigem Training ohne Trainer und mit "nur" einem Trainingsumfang von 80-90 km pro Woche und ohne Pacemaker die Zeit von 2:46 h erreichen konnte. Ich hätte das nie für möglich gehalten. Allerdings durfte ich von 1998-2007 von einem sehr guten Training bei Renate Güttler im OSC profitieren, danach beendete ich den Leistungssport. Meine Uhr ist bei km 3 ausgestiegen, so hatte ich nie die Nettozeit, vielleicht war das ganz gut so, denn sonst wäre ich vor lauter Angst, viel zu schnell angegangen zu sein, noch mehr auf die Bremse getreten (meine Wunschzeit war eine 2:59, somit kamen die Schnittzeiten überhaupt nicht hin. Ich wusste immer nicht, ob ich Tempo rausnehmen sollte oder einfach weiterlaufen, weil ich Heidenrespekt vor einem Einbruch hatte. Ich kann während des Laufs nicht trinken, habe aber zwei Energiegels gegessen). Hoffentlich klappt es mit der Anerkennung der Gehörlosen-Rekorde (15km Deutscher Rekord, 20km, 25km, 30km, Halbmarathon, Marathon Weltrekorde)...

Mein nächstes Ziel sind die 100 km. Mal sehen, ob ich die Strecke durchhalte... Das sind ja noch mal Welten im Vergleich zu 42 Kilometer. Bis dahin muss ich Trinken lernen, aber bei 100km kann man ja auch mal stehenbleiben, oder?

Viele Grüße
Ihre Nele

Hallo Nele,
zunächst noch Glückwunsch zu Deiner tollen Zeit von 2:46:07 in Berlin bei Deinem Marathon-Debüt. Zu Deiner Vorbereitung auf den 100 km Lauf empfehle ich Dir unseren Trainingsrahmen sowie die unzähligen Tipps im "Biel-Projekt - Mut zum ersten 100-km-Lauf". Die Trainingshinweise haben wir speziell auf die Erstteilnahme an einem 100 km Lauf ausgerichtet und auch wenn dabei der legendäre 100km Lauf von Biel im Zentrum steht, der mit seinem Start um 22 Uhr gerade an schnellere Teilnehmer besondere Anforderungen stellt, die bei Tagesanbruch das Ziel erreichen. Dennoch rate ich, nehme Dir die Zeit auch für die vielen gestellten Fragen. Alle unsere Antworten basieren auf der eigenen langjährigen Lauferfahrung und den Erkenntnissen aus der aktiven Teilnahme an 100 km Läufen. Ich selbst schaffte bei einer Marathonzeit von 2:51:32 Stunden eine 100km Bestzeit von 7:32:17 Stunden.
Gruß Constanze

Hallo Constanze
Danke für den Hinweis auf Eure Trainingsseite Biel-Projekt - Vorbereitung auf 100km. Mein 100km Debüt will ich allerdings 2014 in Kienbaum machen, aus mehreren Gründen: Es ist nicht so weit weg, die Strecke ist flach (ich bin ein GROTTENSCHLECHTER Bergaufläufer) und Start ist um 6:30 Uhr, also kein Lauf über Nacht (habe schlechte Augen). Auch dort will ich versuchen den Gehörlosenweltrekord zu schaffen. Beim Marathon hat es ja geklappt, hoffentlich geht die Anerkennung durch. Biel geht ja über Nacht und hat einige Streckenabschnitte, die es (bergauf) in sich haben... Das mache ich dann, wenn ich nach Kienbaum noch Lust habe auf 100 Kilometer und ich mich nicht grandios überschätzt habe.

Wie schafft man denn bitteschön eine 7:32 bei 100km??? Wo war das? Wie(viel) hast du damals trainiert dafür, darf ich das fragen? Dann ist deine Marathonbestzeit von 2:51 nicht dein Maximum oder? Denn ich hab mal gehört, dass man folgende Rechnung aufstellen kann: 100km-Zeit = Marathonzeit x 3, stimmt das? Das heißt ich könnte theoretisch unter 9h schaffen? Ist das realistisch? Für den Marathon hab ich ab Oktober 2012 80-90km/ Woche trainiert. Nun will ich erst mal auf 110km/Woche aufstocken... Ob das dafür reicht? Ich mache montags Fartlek im ruhigen Dauerlauf eingebettet, dienstags ruhigen DL, mittwochs mittleren/schnellen DL, donnerstags ruhigen DL, freitags langen DL (30km), samstags regenerativ und sonntags ruhigen/regenerativen DL. Außerdem gehen mein Mann und ich jedes zweite Wochenende wandern.

Hallo Nele,
7:32 h bin ich auf einem flachen 10 km Rundkurs in Kiel-Neuwittenbeck gelaufen. Mit 7:39 h konnte ich in Winschoten eine ähnliche Zeit erreichen. Die oft genannte Formel, Marathonzeit mal 3, bezieht sich auf eine 3 Stunden Marathonzeit. Läuft man schneller, kann man sich die Minuten noch zusätzlich abziehen bzw. muss diese hinzufügen, wenn man langsamer ist. Das hieße bei Dir: 3 x deine Marathonbestzeit abzüglich 14 Minuten, eine Zeit um 8:04 Stunden. An meinem Beispiel kannst Du aber sehen, dass die Formel hinkt. Es gibt aber auch gegenteilige Beispiele, also längere Laufzeiten über 100 km als dies nach der Formel zu erwarten wäre. Orientiert hatte ich mich deshalb an meiner 10 km Bestzeit (36:44). Ein Kilometerschnitt von 4:30 Minuten über 100 km muss da drin sein, so war meine Einschätzung und darauf habe ich dann das Training ausgerichtet. Allerdings hatte ich damals bereits die Erfahrung aus drei Teilnahmen am Bieler Hunderter, wo ich auch meinen ersten 100 km Lauf in 10:56:17 gelaufen war. Zwei Mal hatte ich zudem bereits den 80 km langen Finama Nachtlauf bei Karlsruhe absolviert. Ein gewisses Talent, oder einen Faible, für lange Strecken war dabei festzustellen. Ich konnte mich von Lauf zu Lauf enorm steigern. Über Marathon wäre vielleicht 2:45 h drin gewesen, wenn ich mich darauf konzentriert hätte. Doch war mein Training gezielt auf die 100 km Distanz ausgerichtet und ich habe Marathonläufe fast überwiegend aus dem Training heraus als lange Tempoeinheiten absolviert. Dabei habe ich sicher für die 100 km Distanz ähnlich wie für Marathon trainiert, aber mehr lange Einheiten eingestreut, also Läufe über z. B. 35 km. Die Tempoeinheiten habe ich aber nie vernachlässigt und ich halte sie auch für 100 km Läufe wichtig, wenn man ein bestimmtes Niveau erreichen will.

Dass Du mit Deinem Training dieses Marathon-Debüt abliefern konntest, zeigt, dass Du vieles richtig gemacht haben musst. Aber da Du keinerlei Erfahrungen im Ultralauf hast, bleibt abzuwarten, wie Du klar kommst. Immerhin erwarten Dich nach dem Marathon noch fast 60 weitere Kilometer in Kienbaum.

An den idealen Trainingsumfang habe ich mich herangetastet. Meine Wochenumfänge lagen zeitweise auch jenseits von 200 Kilometern. Gebremst wurde ich nicht durch einen Mangel an Ehrgeiz, sondern durch meine Verletzungsanfälligkeit. Von der Lauflust her, hätte ich damals am liebsten jedes Wochenende einen Marathonwettkampf eingeplant.

Wie viel Zeit verliert man beim 100km Lauf durch Pinkel-, Trink-, Ess-Pausen und (unfreiwillige) Geh-Einlagen? 30min? Also sollte ich 30min Puffer einplanen und daher auf eine 8:30h hintrainieren? Oder isst/trinkst du komplett während des Laufens? Wie oft trinkst und isst du beim 100km Wettkampf und was? Nach Gefühl oder regelmäßig?

Während 100 km Läufen habe ich nie etwas gegessen. Ich habe versucht ‚aufgeladen' an den Start zu gehen. Getrunken habe ich ohne Pausen zu machen. Hat man etwa auf einer 10 Kilometerrunde die Möglichkeit sich dreißig Mal zu verpflegen, dann reichen ja jeweils ein paar Schlückchen aus dem Becher. Wer seine Kohlenhydratdepots vor dem Rennen ausreichend auffüllt, sollte bei 8 bis 12 Stunden Laufzeit normalerweise keine Probleme bekommen.

Pinkeln ist bei einem hohen Tempo, weniger selten Thema. Werden trotz Schwitzens, ein, zwei Pinkelpausen notwendig, verliert man dadurch nur wenige Sekunde bis max. eine Minute.

Ich will am Freitag bei meinem 30km Lauf mal einen selbstgemachten pürierten Hafer-Milch-Banane-Apfel-Salz-Kaffeepulverbrei probieren, denn das Gel wird auf Dauer doch zu teuer. Woraus besteht der Haferschleim, der bei Wettkämpfen angeboten wird? kann man den gut "trinken" oder muss der gelöffelt werden?

Haferschleim wird in der Regel allgemein gut vertragen. Es ist davon auszugehen, dass die Zutaten variieren. Bei besonderer Empfindlichkeit oder bestimmten Unverträglichkeitsneigungen sollte man Eigenverpflegung den Vorzug geben. Gerade Riegel und Gels können aufgrund ihrer Inhalte Magen-Darm-Probleme auslösen, die durch die bei einem Lauf über mehrere Stunden aufgenommenen Mengen allein aufgrund ihrer Zusammensetzung vorhersehbar, also beinahe zwangsläufig den Verdauungstrakt malträtieren. Selbstverständlich ist auch hier die individuelle Erfahrung unter Belastung der Wegweiser für die Zukunft. Eine gewisse Zurückhaltung im Wettkampf ist gegenüber unbekannter Verpflegung allgemein anzuraten. Ich habe immer gern den angebotenen Tee mit Wasser verdünnt und erst in der letzten Phase eines Laufs auch Cola getrunken. Ich bin kein bekennender Colatrinker und wenn man im Rennen damit einmal begonnen hat, muss man dabei bleiben. Ergab es sich, dass man sich gut selbst versorgen konnte, setzte ich ein Kohlenhydratgetränk ein, selbst aus Maltodextrin und Salz gemischt, welches sich auch bei langen Trainingsläufen bewährte.

Bringen eigentlich solche Stützstrümpfe ´was? Hab es noch nie probiert und die sind doch recht teuer?

Ich habe nur wenig Erfahrung damit gemacht und will mich nicht dafür oder dagegen aussprechen. Dass es auch ohne gut geht, hat zuletzt Sabrina Mockenhaupt beim New York Marathon demonstriert. Andererseits ist Paula Radcliffe mit Stützstrümpfen Weltrekord gelaufen. Ich bin mir sicher, dass mehrere Hersteller oder Händler einer so guten Athletin wie Dir liebend gern ein paar Stützstrümpfe kostenfrei zukommen lassen. Sollte Dich das Produkt überzeugen, und davon sollte ein Lieferant ja ausgehen, dann wärst Du doch der ideale Werbeträger.

Raten muss man ganz allgemein Debütantinnen und Debütanten zum Buch "Mehr als Marathon" - Wege zum Ultralauf - von Werner Sonntag. Hier sei das Kapitel 11 hervorgehoben: Empirische Aspekte einer Psychologie für Ultralangläufer. Den Wert der Erfahrung stellt Werner Sonntag besonders heraus, und zwar die selbst gemachten Erfahrungen. Im Biel-Projekt raten wir immer wieder, den ersten 100 km Lauf so anzugehen, dass man gesund und glücklich ins Ziel kommt.

In diesem Sinne lieben Gruß
Constanze

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